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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Eintritt aufzubringen bereit war, in diese Heiligtümer eindringen durfte. Zur Feier des Tages trug Belzoni dieselbe orientalische Tracht, in welcher er am Nil unterwegs gewesen war. Ungeheuer groß und massig, mit vollem schwarzem Haupthaar, das unter dem Turban hervorwallte, und einem üppigen Bart, den er sich in Ägypten hatte stehen lassen,wirkte er wie ein Riese aus einem arabischen Märchen, und man konnte sich diesen Menschenberg nur zu gut beim Kippen und Wälzen von Obelisken oder Statuen vorstellen. Der Gesichtsausdruck des Riesen freilich war milde und gutmütig.
    »Guten Morgen, Baron«, empfing er den Alten, »Sie sind drei Stunden zu früh!«
    »Heute wollte ich der erste sein«, rief Ravenglass und sprang vergnügt aus der Kutsche.
    Während sich Belzoni in Ägypten aufhielt, hatte die englische Presse bereits mehrere Artikel über seine abenteuerlichen Bergungsarbeiten veröffentlicht. 1817 war ein in Theben gefundener gigantischer Granitkopf von unvergleichlicher Schönheit im British Museum ausgestellt worden, in Abwesenheit seines Entdeckers, der noch am Nil weitergrub. Dieses Meisterwerk altägyptischer Bildhauerkunst hatte der Öffentlichkeit vor Augen geführt, welch beispiellose Hochkultur schon lange vor den Griechen am Nil existierte, und als Belzoni wieder in London eintraf, kannte ihn jedermann. Sein Bericht über seine vierjährige Entdeckungsreise war Ende 1820 als Buch erschienen und verkaufte sich vorzüglich. London befand sich im Ägypten-Fieber.
    Die »Times« hatte am Vortag die Ausstellungseröffnung angekündigt, und zwar mit der originellen Wendung, Mister Belzoni werde »im eigentlichen Sinne unbewegliche Grabungsfunde« den Augen der Menge darbieten. Was die Besucher als Hauptattraktion zu sehen bekommen sollten, war nämlich nichts Geringeres als ein originalgetreu nachgebildetes Grab aus dem sagenumwobenen Tal der Könige bei Theben. Belzoni und seine Begleiter hatten dort ein zwar leeres, aber mit wunderschönen Malereien und Reliefs geschmücktes Königsgrab entdeckt, durch welches seit vielen hundert Jahren keines Menschen Fuß mehr geschritten war, und die unterirdische Anlage mit Hilfe von Wachsabdrücken und Zeichnungen komplett kopiert. Nun standen zwei Kammern der Nekropole in Originalgröße mitten in London. Ihre Wände bestanden freilich nur aus Holz und bemaltem Gips, aber sie sahen der Vorlage, wie Belzoni versicherte,verblüffend ähnlich. Der Riese hätte am liebsten das gesamte Grabmal anhand seiner Abgüsse rekonstruiert, doch dafür war Egyptian Hall zu klein: Immerhin bestand das Original aus einem halben Dutzend verschiedener Räume, die größeren von saalartigen Ausmaßen, und der Tunnel, der zu ihm in den Felsen führte, war beinahe hundert Meter lang.
    Obwohl von einigen Kanzeln der Hauptstadt der Ruf erging, die Präsentation zu meiden, und sogar der Vikar von Westminster gegen die Zurschaustellung heidnischen Blendwerks gepredigt hatte, versammelte sich an diesem Frühlingsmorgen allmählich eine große Menschenschar vor Egyptian Hall. Schließlich waren es weit mehr Besucher, als die Räume fassen konnten, was Belzoni sichtlich freute, denn die Kasse würde fröhlich klingeln. Der Italiener, den die Masse nicht schreckte, da er sie um Haupteslänge überragte, machte den Führer.
    Zunächst trat man in den sogenannten Raum des Memnon, worin sich der inzwischen weithin bekannte Kolossaltorso befand: das Oberteil einer gigantischen Statue aus Rosengranit, Kopf, Schultern und Brustpartie eines jungen Mannes, fast drei Meter hoch, mit künstlichem Kinnbart, vollen Lippen, Mandelaugen und gefaltetem Kopftuch, in dessen Mitte die Uräus-Schlange prangte.
    »Diesen Kopf fand ich bei Theben«, erläuterte Belzoni, nachdem der Saal so dicht mit Menschen gefüllt war, daß man sich kaum noch rühren konnte. »Er gehörte zu einer Kolossalstatue, die, wie manche antike Autoren glaubten, den Memnon verkörperte. Sie bestand aus einem einzigen Rosengranitblock von ungefähr 18 Metern Höhe, und seit wer weiß wie vielen Jahrhunderten liegt sie, in drei Teile zerbrochen, umgestürzt im Sand. Ihr Antlitz war himmelwärts gerichtet und schien mich anzulächeln, wie in Vorfreude darauf, nach England gebracht zu werden. Einhundertdreißig Männer haben den Kopf auf Rollen zum Nil gezogen, vermutlich ganz ähnlich, wie es seinerzeit die Ägypter in umgekehrter Richtung taten, nur war der Koloß damals vollständig und zehnmal schwerer, so daß ich heute noch

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