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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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gestickte Beinkleider, Schuhe mit dicken Sohlen und Pelzmützen.
    Bahram konnte sich denken, was geschehen war: Der Gouverneur musste tags zuvor in Winterkleidung gesehen worden sein – für alle anderen das Signal, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls ihre Wintersachen hervorzuholen. Es war wie bei den Briten in Indien, nur dass der Gouverneur hier auf ein Signal aus dem fernen Peking warten musste. Seltsamerweise wurde die Garderobe in Kanton stets schon wenige Tage danach gewechselt, obwohl die Hauptstadt so weit entfernt und das Klima im Norden ein ganz anderes war.
    Tatsächlich setzte ein paar Tage später ein kühler Nordwind ein, die Temperatur fiel jäh, und im daftar wurde es so kalt, dass man Holzkohlenpfannen aufstellen musste.
    Im Gefolge des Wetterwechsels kamen Gerüchte von Veränderungen anderer Art auf. Am Nachmittag schaute Zadig vorbei und berichtete, er habe einigen interessanten Klatsch aufgeschnappt: Der amtierende Gouverneur der Provinz, der so eifrig Opium beschlagnahmt, Schnellruderer in Brand gesteckt und Händler belangt hatte, werde nach Peking zurückbeordert und durch einen neuen Beamten ersetzt.
    Da Fanqui-Town neuerdings von Gerüchten nur so schwirrte, setzte Bahram vorsichtshalber nicht allzu viel Hoffnung auf diesen Bericht. Einige Tage lang hörte er sich diskret um. Er fand zwar keine direkte Bestätigung, erfuhr aber, dass vielen anderen dasselbe zu Ohren gekommen war. Es wurde so viel darüber spekuliert, dass das Gerücht die Grenze zwischen Mutmaßung und Nachricht überschritten zu haben schien. Und zumindest im Komitee war man sich einig, dass der Wechsel ein hoffnungsvolles Zeichen darstelle.
    Für Bahram war das sehr ermutigend. Er hatte in den letzten Wochen mehrere ängstliche Anfragen der Bombayer Geschäftsleute erhalten, die in die Fracht der Anahita investiert hatten. Sie hatten von der Havarie des Schiffes gehört und wollten wissen, wann sie ihr Geld zurückbekämen. Bahram hatte ihnen entschuldigend, aber beruhigend geantwortet, dass der Markt in Kanton im Moment ungewöhnlich träge, dass jedoch bald eine Erholung zu erwarten sei. Ihnen zu sagen, dass die Anahita noch immer mit fast vollen Laderäumen vor Hongkong lag, hatte er nicht über sich gebracht, ebenso wenig wie ihnen mitzuteilen, dass er noch keine einzige Anfrage interessierter Käufer erhalten hatte. Jetzt aber, bestärkt von den Gerüchten über Veränderungen in der Provinzverwaltung, beschloss er, seine Investoren darüber zu informieren, dass endlich positive Vorzeichen am chinesischen Firmament zu erkennen seien.
    »Schreiben Sie einen Brief«, sagte er zu Nil. »Fangen Sie mit der üblichen Einleitung an, und fahren Sie dann folgendermaßen fort: ›Wie Sie wissen, zeigen sich die Kantoner Märkte aufgrund der Politik des derzeitigen Gouverneurs in letzter Zeit recht träge. Ihr ergebener Diener möchte Sie jedoch davon in Kenntnis setzen, dass von den obersten Behörden Chinas ein Richtungswechsel signalisiert wird. Nach allgemeiner Überzeugung wird der derzeitige Gouverneur in Kürze in die Hauptstadt zurückbeordert. Der Name seines Nachfolgers ist noch nicht bekannt, doch dass dies ein höchst begrüßenswertes Zeichen ist, versteht sich von selbst. Die Situation wird sich vermutlich bald wieder normalisieren, und man darf mit Fug und Recht erwarten, dass wir unsere Ladungen zu einem Zeitpunkt werden veräußern können, zu dem starker Nachholbedarf besteht … ‹«
    Ein lautes Klopfen unterbrach Bahram.
    »Patrão! Patrão!«
    »Vico? Was ist los?«
    Vico streckte den Kopf durch die Tür. »Patrão, Besuch für Sie.«
    »Besuch? Jetzt?«
    Die Störung wunderte und ärgerte Bahram. Seit Langem hielt er es so, dass die ersten Stunden seines Arbeitstages der Korrespondenz vorbehalten waren, und das Personal hatte strikte Anweisung, bis zu seiner vormittäglichen Teepause niemanden vorzulassen.
    »Was ist denn das für ein Unsinn, Vico? Besuch um diese Zeit? Ich habe gerade einen Brief angefangen.«
    »Es ist ein gewisser Ho Sin-saang, Patrão. Sein vollständiger Name ist Ho Lao-kin.«
    Das war nicht dazu angetan, Bahram zu besänftigen. »Ho Sin-saang? Nie gehört. Wer ist das?«
    Vico trat ein wenig weiter ins Zimmer und gab Bahram mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung des Zeigefingers zu verstehen, dass er vor dem neuen Munshi nicht mehr sagen könne.
    Widerstrebend wandte sich Bahram an Nil. »Das ist alles für den Moment, Munshi, Sie können gehen. Ich rufe Sie, wenn ich fertig

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