Der Rebell - Schattengrenzen #2
und Wurstgeruch aus dem Kühlschrank wurde zur Appetitbremse. Seit einem Dreivierteljahr konnte er nichts mehr zu sich nehmen, was vorher einmal herumgelaufen war. Daniel schob ihn an den Schultern zu einem Stuhl. »Lass dich mal ein bisschen bedienen, wenigstens heute.«
Einspruch zu erheben, brachte wenig. Mit demonstrativ gehobenen Brauen, aber einem warmen Gefühl in der Brust, beobachtete er, wie Daniel ihn bereitwillig mit Kaffee, Brot und einem ziemlich großen Käsestück versorgte.
»Gut so?«, fragte er mit einer knappen Verneigung und einem karierten Küchenhandtuch über dem Arm.
Oliver lachte auf. »Vielen Dank.« Er nippte an seiner Tasse.
Daniel knüllte das Geschirrtuch zusammen und warf es zielsicher auf die gespülten Teller und Tassen, die in ihrem Trockengitter standen. Von einem Moment zum anderen wurde Daniel ernst. »Du hast gestern noch mit Matthias gesprochen?«
Oliver nickte. »Wegen der Mail.«
»Und?« Daniel streckte seine langen Beine unter den Tisch und verschränkte die Hände im Nacken.
Oliver ließ die Tasse sinken. »Darüber möchte ich ohne Matthias’ Einwilligung nicht sprechen.«
Daniel musterte ihn einige Sekunden. Über seine Lippen huschte ein eigenartiges Lächeln. War das Zustimmung oder Unverständnis?
Oliver schob das Frühstück zurück und setzte sich vor ihm auf die Tischkante. »Er sagte mir, dass wir alle vergiftet wurden, Daniel. Wusstest du davon?«
Er nickte leicht. »Bei allen wurden Spuren von Gift festgestellt. Keinen von euch hätte es getötet, nur gering betäubt. Marc allerdings starb an der Dosis. Sie war rund zehnfach stärker konzentriert, als in deinem Blutkreislauf oder dem von Elli, Micha, Chris und eurem Vater.«
Oliver atmete tief durch. Irgendwo zwischen Kehle und Lungen blieb der Ball aus Sauerstoff hängen und kam nicht mehr weiter. Erstickend. Er strich mit beiden Händen über das Gesicht. Also stimmte es, sie hatte Marc vorsätzlich umgebracht. Deswegen hatte der Kleine auch nicht zerhackt ausgesehen wie Elli, als er hinter den Spiegeln aufgewacht war.
»Warum hast du mir davon nichts gesagt?«
»Weil die offizielle Todesursache Versagen der inneren Organe infolge starker Gewalteinwirkung lautet. Im Klartext: Erstechen.«
Post mortem . Deswegen sah die Geisterversion Marcs immer noch aus, als wäre er nicht gewaltsam gestorben.
»Warum, Daniel?« Oliver nahm seine Tasse auf und trank einen Schluck, um die Enge in seinem Hals zu lösen. Erfolglos.
Daniel setzte sich auf. »Weil wir mit unserer Ermittlung an diesem Punkt feststecken. Dein Vater hat damit nichts zu tun …«
»Silke, ich weiß.« Oliver stellte die Tasse ab. Er legte Daniel eine Hand auf die Brust, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Sag mir bitte einfach immer die Wahrheit.«
Mit großem Ernst begegnete Daniel seinem Blick. »Welche, wenn ich nicht weiß, wo und wie ich sie belegen und mit dem Gemetzel in den Archivkartons vereinen soll?«
Oliver verdrehte die Augen. »Dann äußere zumindest den Verdacht, den du hast. Verstehst du nicht, Daniel?«
Hilflose Wut erwachte in ihm. »Gestern Nacht habe ich erfahren, dass meine Mutter versucht hat, uns zu vergiften.« Er ballte die Fäuste. Wohin sollte er nur das Chaos in seinem Inneren ableiten? »Was ist das denn für eine abartig, vollkommen kranke Familie? Das kann es doch alles nicht geben.«
Oliver hob beide Arme. Verstand denn Daniel nicht, dass seine ganze Familie aus Mördern bestand, dass er nichts mehr begriff und keinen Anschluss mehr an sein bisheriges Leben fand? Ruhig begegnete Daniel seinem Blick. Er griff lediglich nach seiner Linken und hielt sie fest.
Oliver wollte sie ihm nicht entziehen. »Im Moment fühle ich mich wie ein Alien unter euch. Ich war ewig lang weg, mein ganzes Umfeld hat sich verändert. Ich muss erst mal ein neues Leben für Micha, Chris und mich finden, um wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Von den vergangenen Monaten weiß ich rudimentäre Fragmente. Meine Welt besteht nur noch aus Unsicherheit und Rätselraten.«
»Ich weiß, Olli.« Daniels Mimik wurde weich. Er wirkte besorgt. In seinem Blick veränderte sich etwas. Gefühl und Wärme lagen darin. »Sag einfach, was dir auf der Seele liegt.«
Oliver stöhnte auf. Kraft und Wut rannen aus seinem Körper. Er sank zusammen. »Ich will mein Leben wiederhaben, einfach die Uhr zurückdrehen, als alle Menschen um mich noch normal waren, ich keine Geister sah und eine Häsin mir nicht wie ein Hund
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