Der Reisende
einige Teile dieser Geschichte noch nicht gehört«, sagte Vilate, »aber macht Euch meinetwegen keine Mühe – ich bin sicher, ich bekomme von den anderen eine vollständigere Version zu hören, als Ihr sie mir je erzählen würdet. Guten Tag, Horace! Guten Tag, Alvin. Guten Tag, mein junger kleiner König. Komm ruhig einmal bei mir vorbei, aber bring mir nichts von Horaces Apfelwein mit, denn der ist sicher vergiftet, wenn er weiß, daß er für mich bestimmt ist!« Mit diesen Worten eilte sie von der Veranda und auf die festgetretene Erde der Straße. Alvin sah, daß die Illusionen mit ihren Bewegungen funkelten und schimmerten. Von hinten waren die Hexagramme nicht ganz so perfekt. Er fragte sich, ob die anderen je durch sie hindurch sahen, wenn sie sich entfernte.
Horace schaute ihr grimmig nach, als sie die Straße entlang ging. »Wir tun so, als würden wir nur so tun, uns zu hassen, aber in Wirklichkeit hassen wir uns tatsächlich. Diese Frau ist böse, und das meine ich ernst. Sie hat dieses Talent, sofort zu wissen, woher jemand oder etwas kommt und wohin sie gehen werden, aber sie benutzt es, um den häßlichsten Klatsch in die Welt zu setzen, und ich schwöre, sie liest anderer Leute Post!«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Alvin.
»Ganz recht, mein Junge, du warst im letzten Jahr nicht hier und weißt es wirklich nicht. Seit du gegangen bist, hat sich hier viel verändert.«
»Nun, laßt mich herein, Mr. Guester, damit ich mich setzen und vielleicht etwas vom heutigen Eintopf essen und etwas trinken kann – selbst vergifteter Apfelwein klingt im Augenblick ganz hervorragend.«
Horace lachte und umarmte Alvin. »Warst du so lange fort, daß du vergessen hast, daß ich Horace heiße? Komm herein, komm herein. Und du auch, junger Arthur Stuart. Ihr seid hier immer willkommen.«
Zu Alvins Erleichterung sagte Arthur Stuart gar nichts, und da er gar nichts sagte, konnte er natürlich auch nicht »Papa« sagen.
Sie folgten ihm hinein, und von da an waren sie in Horaces gastfreundschaftlicher Obhut, bis sie sich im besten Gästezimmer schlafen legten. Er fütterte sie, gab ihnen heißes Wasser, damit sie sich Hände, Füße und das Gesicht waschen konnten, sammelte ihre schmutzige Kleidung zum Waschen ein, stopfte noch mehr Essen in sie hinein und steckte sie dann persönlich ins Bett, nachdem sie selbst beobachtet hatten, wie er es mit sauberen Laken bezog, »nur damit ihr wißt, daß ich mich noch immer an Pegs hohes Maß an Sauberkeit halte, auch wenn ich nur ein alter, allein lebender Witwer bin.«
Doch es war lediglich die Erwähnung seiner verstorbenen Frau nötig, um die Erinnerungen zurückzubringen. Tränen traten in Arthur Stuarts Augen. Horace wollte sich sofort entschuldigen, doch Alvin brachte ihn mit einem Lächeln und einer Geste zum Schweigen. »Das ist schon in Ordnung so«, sagte er. »Er kommt nach Hause, und sie ist nicht hier. Das sind gute Tränen, und es ist richtig, daß er sie vergießt.«
Arthur griff nach Horace und tätschelte dessen Hand. »Ich komme schon klar, Papa«, sagte er.
Alvin sah in Horaces Gesicht und stellte erleichtert fest, daß seine Augen statt Verärgerung eine Art reumütiger Freude zeigten, als er das Wort Papa hörte. Vielleicht dachte er an die einzige Person, die in Wirklichkeit das Recht hatte, ihn so zu nennen, seine Tochter Peggy, die getarnt nach Hause gekommen und nur allzu schnell wieder gegangen war, und wer wußte schon, ob er sie je wiedersehen würde. Oder vielleicht dachte er an diejenige, die Arthur Stuart beigebracht hatte, ihn Papa zu nennen, an seine liebe Frau, die auf dem Hügel hinter dem Gasthof begraben lag, die Frau, die ihm immer treu gewesen war, obwohl er ihre Güte nicht verdient hatte, da er (wie nur er auf der ganzen Welt glaubte) ein böser Mann war.
Kurz darauf verließ Horace den Raum und schloß die Tür, und Arthur Stuart weinte sich in Alvins Armen leise in den Schlaf. Alvin lag da und hätte auch gern eine Weile gedöst. Es war schön, wieder zu Hause zu sein, oder doch so nah bei seinem Zuhause, wie er es sich in diesen Tagen vorstellen konnte, in denen er sich fragte, was ein Zuhause überhaupt war. Und nach Carthage City würde sein Weg ihn also führen, wie? Würde er dorthin wandern, um dort zu leben? Oder nur, um dort zu sterben? Was wußte diese Vilate Franker überhaupt in Wirklichkeit? Er lag schlaflos da, dachte über sie nach, fragte sich, ob sie wirklich so böse sein konnte, wie Horace Guester es
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