Der Riss im Raum
deinen.«
»Warum muß er uns aber auch immer aufhalten!«
»Sag das nicht, Meg!« wies Calvin sie zurecht. »Erwachsene begreifen eben langsamer als unsereins; vor allem Leute wie Herr Jenkins. Er hat sich bestimmt seit Ewigkeiten nicht mehr an einen neuen Gedanken herangewagt.«
»Aber wir dürfen doch keine Zeit verlieren! Charles Wallace … «
»Ich sagte, Herr Jenkins braucht länger als wir, und das stimmt. Aber dafür dringen Erwachsene manchmal tiefer vor – wenn wir ihnen mit ein wenig Geduld entgegenkommen.«
»Auch um Geduld zu haben, braucht man Zeit.«
»Meg, tu, was Progo sagt! Hilf Herrn Jenkins!
Und Proginoskes kythete ihr eindringlich zu: »Vielleicht brauchen wir Herrn Jenkins, wenn es darum geht, Sporos zum Eintiefen zu bewegen. Warum sonst hätte Blajeny uns … ? Ach, Meg, ein Lehrmeister handelt nie unüberlegt. Versuche endlich, Herrn Jenkins zu erreichen!«
Sie kämpfte ihre Angst nieder und öffnete sich dem Kythen …
Sie war bei Charles Wallace.
Nicht in ihm, nicht ohne ihn, sondern bei ihm. Sie war Teil seiner Erschöpfung, seines besorgniserregenden Kräfteverfalls, seines Ringens um Atem …
*
Kämpfe weiter Charles! Hör nicht auf zu kämpfen! Atme.
Atme!
Ich werde versuchen, dir zu helfen.
Ich werde alles tun,
alles,
sogar …
*
… und plötzlich:
*
… plötzlich war Meg mit ihrem Kythen bei den Zwillingen. Ohne Zweifel hatte Charles Wallace Meg zu ihnen geschickt.
Die Zwillinge waren im Garten. Grimmig werkten sie mit dem Spaten, stachen den Boden um. Sie begruben die alten Tomaten-Stauden, die frostschwarzen Zinnien und die zu Samen gedorrten Salatköpfe unter einer frischen Erdschicht und lockerten sie auf, damit sie im kommenden Frühjahr gut durchlüftet sein würde. Die Zwillinge arbeiteten methodisch, verbissen; sie hatten sich die körperliche Anstrengung als Therapie gegen die Angst um ihren Bruder auferlegt.
Sandy brach das Schweigen. »Wo bleibt Meg?«
Dennys richtete sich auf, setzte den Fuß auf die Kante und drückte den Spaten tief in den Boden. »Sie muß jeden Augenblick kommen.«
»Charles Wallace behauptet, sie war heute nicht in der Schule. Er behauptet, sie sei in ihm ! Ernsthaft, das hat er gesagt!«
»Er hat Fieber. Er phantasiert.«
»Hast du schon einmal gesehen, wie das ist, wenn jemand stirbt?«
»Nur bei Tieren.«
»Wenn Meg nur endlich da wäre!«
»Mir fehlt sie auch.«
Schweigend arbeiteten sie weiter, bereiteten den Garten auf die Kälte und den Schnee des Winters vor …
»Jeder hat einen Auftrag«, sprach Meg sich selbst Mut zu. »Die Zwillinge haben den Auftrag, ihren Garten zu pflegen – und ich habe den Auftrag, Herrn Jenkins aufzuspüren.«
Wo? Nirgendwo. Überall.
»Herr Jenkins! – Herr Jenkins? – Sie sind Sie selbst und niemand sonst, und ich habe Sie benannt. – Ich kythe Ihnen zu, Herr Jenkins! – Ich bin für Sie da. Ich bin’s, Meg! Sie kennen mich, und ich kenne Sie.«
Sie meinte, ein Schnaufen zu hören, ein Jenkins-Schnaufen. Aber schon entglitt er ihr wieder. Diese mikroskopisch kleine Unterwasserwelt ging schlichtweg über seinen Verstand. Meg versuchte einmal mehr, ihm alle die Bilder zuzukythen, die sie selbst empfangen und in für ihn verständlichere Begriffe übersetzt hatte – aber er reagierte bloß mit angsterfüllter Leere.
»Du mußt ihn noch einmal benennen«, drängte Progo. »Er wagt es nicht, sich selbst zu finden. Er hat Angst, er selbst zu sein. Als du ihn auf dem Schulhof benanntest, hast du zum erstenmal mit ihm gekythet. Nur so konntest du ihn von den beiden Echthroi-Jenkinsen unterscheiden. Nur so kannst du ihn auch diesmal erkennen.«
Sie nahm alle Kraft zusammen:
*
Herr Jenkins. Sie sind einmalig. Einmalig wie jeder einzelne Stein am Himmel, jedes einzelne Blatt am Baum, jede Schneeflocke, jede Farandola, jeder Cherubim. Einmalig: benannt.
*
Er hat Calvin Schuhe gegeben. Und er hätte sich nicht mit uns in Schrecken und Gefahr begeben müssen – aber er ist mitgekommen. Er hat die Wahl getroffen. Er hat sich auf unsere Seite geschlagen, obwohl es ihm freistand, in seine Schule zurückzukehren und dort sicher und geborgen sein Versager-Dasein weiterzufristen.
Ja. Aber wenn ein Mensch wie er, ein farbloser, phantasieloser Starrkopf, sich darauf einläßt, mit ihnen die Reise ins Unbekannte, ins unvorstellbar Unbekannte zu wagen – dann kann dieser Mensch doch kein Versager sein.
Und trotzdem hatte Herr Jenkins sich dazu entschlossen, hatte seinen Entschluß
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