Der rollende Galgen
unterhalb der Brooklyn Bridge ans Südende von Manhattan. Dieses Gebiet ist mittlerweile zu einem Feinschmecker-Areal der New Yorker Fisch-Freaks geworden. Und nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Touristen wußten längst dieses Mekka zu würdigen, wo der Fisch so frisch wie nirgendwo sonst in New York auf den Tisch kam.
Auffällig die historischen Fassaden in der Fulton Street, direkt unter der Brücke. Für Architekturgenießer eine wahre Erfüllung. Und gleich daneben, sehr sensibel angepaßt, das neue Gebäude des Fulton Market, dessen Verkaufshalle mit ihrem Angebot ein Mekka für alle Seafood-Liebhaber New Yorks ist.
Um vier Uhr morgens beginnt der Trubel. Da wird angeliefert, wenig später schon verkauft, und gegen acht stehen die Straßenköche bereit und braten auf ihren Grills den schmackhaftesten Fisch. Die Gerüche schwängerten die Luft in dieser Gegend bis spät in die Nacht. Zu dieser Zeit haben die zahlreichen Restaurants noch einmal Hochbetrieb. Neue und alte stehen einträchtig nebeneinander. Alte Fassaden und moderne Wintergärten als Anbauten, das alles bekommt der Brooklyn Bridge, über die pausenlos der Verkehr von Brooklyn nach Manhattan und umgekehrt hinwegrollt.
Für Suko und mich waren es neue Eindrücke. Wir kannten diese Ecke noch nicht und erlebten ausgelassene Menschen, die sich wie Kindergaben. Die Straßen des Seaport-Viertels verwandelten sich in eine einzige Cocktailparty.
Straßenkünstler boten Einlagen. Vom Feuerschlucker bis hin zum Jongleur und den Performance-Gruppen war alles vertreten. Ich hatte den Eindruck, als wäre New York an diesem Tag ein großes Theater, in dem jeder seine eigene Show abzog.
Da ich neben Douglas saß, bemerkte dieser meine verwunderten Blicke.
»Nicht nur bei euch in London wird geswingt, hier ebenfalls.«
»Das kannst du laut sagen. Es ist nur schade, daß wir dienstlich unterwegs sind.«
»That's life…«
»Man könnte ja noch einige Tage dranhängen«, murmelte ich mehr zu mir selbst.
Der G-man hatte es trotzdem gehört. »Bei eurem Job, John? Geht das denn?«
»Manchmal muß eben etwas gehen.«
»Wir werden sehen.«
Nur im Schrittempo kamen wir voran, das war gar nicht mal schlecht, so konnte ich beobachten, Eindrücke sammeln und mich auch darüber freuen, daß ich hier keine Gewalt sah.
Die Häuser des Seaport-Viertels wirkten trotzdem gedrängt und geduckt, wenn man sie mit denen verglich, die hinter ihnen hochwuchsen. Da stachen schon die Wolkenkratzer in den Himmel und warfen im unteren Teil lange Schatten, die bis zur Brücke reichten. Noch im Schatten der mächtigen Brooklyn Bridge befand sich auch unser Ziel.
The Indian Block hieß er im Volksmund. Das wußten wir von Abe Douglas. Die Indianer wohnten in einem hohen Haus, auf dessen roter Backsteinmauer noch die letzten Sonnenstrahlen lagen. Viereckige Scheiben, meist in sehr breite Fenster gesetzt, fingen das letzte Licht auf. Über New Jersey und dem Hudson River breitete sich die Nacht aus. Weiter hinter dem East River und hoch über dem Atlantik brannte noch der Himmel in einem wahren Feuersturm. Er legte sich als Restlicht noch über die Konstruktion der Brücke, die wie ein stählerner Wächter alles kontrollierte.
Einen Parkplatz, zu finden, war nicht leicht. Da Abe den Wagen trotzdem in eine Lücke schieben konnte, glich einem Kunststück. Ich war vorher bereits ausgestiegen und schnappte nach Luft. Die Air condition im Wagen war nicht nach meinem Geschmack gewesen.
Leider hatten wir keine Zeit, einen Happen zu essen. Der Dienst ging vor. Trotzdem fing mein Magen an zu knurren, als ich die Essensdüfte vom Seaport her aufnahm.
Zu Fuß gingen wir ein Stück zurück und näherten uns dem Block. Er war über Eck errichtet worden, zwölf Stockwerke hoch. Eine offenstehende Eingangstür hielt die Flügel aufgeklappt wie ein Schlund. Sie befand sich genau auf der Ecke, und über ihr zeichneten sich bis zum Dach hin genau zwölf Fenster ab.
Rechts und links neben dem Block wurden die beiden Häuser renoviert. Das der Indianer stand dazwischen wie eine Trutzburg. Irgendwie erinnerte mich sein Platz auch an das Schicksal der Rasse, die sich verzweifelt gegen die Übermacht der Weißen gewehrt hatte und danach so grausam bekämpft und fast vernichtet worden war. Wir waren auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehengeblieben. Zu beiden Seiten standen die abgestellten Fahrzeuge. Die meisten von ihnen sahen aus, als hätten sie schon bessere Zeiten erlebt.
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