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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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sich nach einer Weile über unebenen Boden und durch dichtes Gestrüpp gekämpft hatten, lichtete sich das Grün rings um sie ein wenig, und die Strahlen der Abendsonne berührten endlich wieder den Boden.
    Es war beinahe so, als wäre dieser zugewucherte Durchgang ein Portal in eine andere Welt. Über sich vernahm Lillian ein Flattern, doch als sie aufsah, waren die Vögel bereits fort. Die Landschaft wirkte auf einmal vollkommen verändert. Offenbar hatte Henare recht: Das hier musste eine Abkürzung sein.
    »Warum sind wir diesen Weg nicht schon beim letzten Mal geritten?«, sprach Lillian den Gedanken, der ihr durch den Kopf ging, laut aus.
    »Weil wir damit über heiligen Boden geritten wären, ohne vorher eine Erlaubnis dafür eingeholt zu haben. Sie können sicher sein, dass wir beobachtet werden; jeder Vogelruf könnte das Signal eines Wächters sein. Aber diesmal haben wir die Erlaubnis, und so wird sich uns niemand entgegenstellen.«
    Nach etwa zwei weiteren Stunden, in denen die Sonne allmählich hinter dem Horizont verschwand, kam Lillian die Gegend wieder bekannter vor. Hier waren sie vor ein paar Wochen entlanggeritten, nachdem sie das Dorf verlassen hatten.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte sie, während sie den Hals reckte. Von einem heiligen Platz war noch nichts zu sehen, auch schien sich der Wald vor ihnen nicht so bald zu lichten.
    »Vielleicht anderthalb Stunden. Dann sollten wir auf eine Felsenklippe kommen.« Lillian hatte schon bemerkt, dass das Gelände hier wieder merklich anstieg.
    »Ich hoffe, mein Großvater hatte den Platz richtig in Erinnerung und er ist jetzt nicht von Bäumen überwuchert.«
    »Ich glaube nicht, dass das der Fall ist«, entgegnete Henare, während er sich wachsam umsah. »Die Maori pflegen ihre heiligen Plätze gut. An diesen Orten ist es wichtig, einen guten Blick zum Himmel zu haben, denn nur so kann man Kontakt zum Erdenvater rangi aufnehmen.«
    Nachdem sie noch eine Weile geritten waren und die Sonne vollständig hinter dem Horizont verschwunden war, tat sich vor ihnen eine Lichtung auf. Ob es der erwartete Felsvorsprung war, konnte Lillian nicht gleich erkennen, denn die Dämmerung verschluckte mittlerweile schon viele Einzelheiten dieses Platzes. Henare, der sich hier offenbar bestens auskannte, hielt ihr Pferd an den Zügeln zurück.
    »Warten Sie am besten hier, bis ich Licht gemacht habe. Sie wollen doch nicht in die Tiefe stürzen, oder?«
    »Das hatte ich eigentlich nicht vor«, entgegnete Lillian ein wenig unruhig, während sie besänftigend den Hals der kleinen Stute streichelte und dann aus dem Sattel stieg.
    Henare, der ebenfalls abgestiegen war, ging ein paar Schritte voran und entzündete schließlich eine Lampe, die er auf einen Stein stellte. Der Lichtschein reichte zwar noch nicht weit, doch er markierte immerhin den Bereich, auf dem man sich ungefährdet bewegen konnte.
    Nachdem Henare weitere Lampen und einige Fackeln entzündet hatte, erkannte Lillian einen Steinkreis. Fasziniert näherte sie sich den Steinen.
    »Sie sollten nicht weiter als bis zum äußeren Bogen gehen«, erklärte Henare, während er zu seinem Pferd zurückkehrte, um die Kiste loszubinden. »Dahinter ist zwar noch ein Stück Fels, aber es ist sicherer, wenn Sie im Kreis bleiben.«
    Wie mochte es hier wohl aussehen, wenn die Maori eines ihrer Rituale abhielten?, ging es Lillian durch den Sinn, während sie neben der Laterne in der Mitte stehen blieb und den Kopf in den Nacken legte.
    Trotz des Lichts waren die Sterne hier sehr gut zu erkennen. Ob ihr Großvater sie von hier aus auch beobachtet hatte? Das Kreuz des Südens prangte direkt über dem Felsen, und etwas weiter am Rand konnte Lillian den Schlangenträger erkennen, der auch von Europa aus zu sehen war – allerdings andersherum, als es hier der Fall war.
    »Wo möchten Sie das Teleskop aufgebaut haben?«, riss Henare sie aus ihren Gedanken.
    »Am besten hier in der Mitte, hier haben wir die beste Sicht. Der Mond wird doch hier entlangziehen, nicht wahr?« Lillian beschrieb mit dem rechten Arm einen Bogen oberhalb der Felsenkante.
    »Natürlich wird er das! Sonst hätte Ihr Großvater diesen Platz nicht für Sie ausgesucht, oder?«
    Schweigsam bauten sie das Teleskop auf, und Lillian errichtete mit den Kisten einen behelfsmäßigen Tisch, auf dem sie ihre Notizen machen konnte.
    »Wann wollte der tohunga kommen?«, fragte sie, nachdem sie das Teleskop noch einmal überprüft hatte.
    »Er hat mir keine Zeit genannt,

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