Der Rote Mond Von Kaikoura
diese Worte gar nicht in ihren Verstand eindringen, doch als sie es taten, schnürte unbändige Wut Lillian die Kehle zu. »So ein verfluchter Mistkerl!« Lillian sprang von ihrem Platz auf und begann, wütend im Zimmer umherzugehen. Das kann doch nicht wahr sein!, sagte sie sich immer wieder. Das ist doch nicht möglich! Kann er denn nicht einsehen, dass ich ihn nicht will? Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?
»Ich fürchte, du wirst dich ein wenig diplomatischer verhalten müssen«, sagte Georg und klang dabei unendlich müde.
»Niemals!«, zischte Lillian wütend. »Dieser Mann hätte um ein Haar meine Ehre beschmutzt. Eigentlich sollte er froh sein, dass ich ihn nicht vor den Richter bringe.«
»Das würde alles nur noch schlimmer machen«, entgegnete ihr Großvater. »Die Leute werden nicht auf unserer Seite sein, immerhin sind wir Fremde und gelten wegen der Sternwarte ohnehin schon als Spinner.«
»Aber ich denke nicht daran, nur wegen ihm Henare nicht mehr wiederzusehen. Er hat mir bei der Beobachtung der Mondfinsternis sehr geholfen und arbeitet für dich, wie soll ich es vermeiden, ihn zu sehen? Etwa Reißaus nehmen, sobald er um die Ecke biegt?«
»Ich fürchte, dass Mr Caldwell das auf anderem Wege regeln wird.«
Lillian fragte sich zunächst, was er tun wollte, doch dann fiel bei ihr der Groschen. »Nein!«, presste sie hervor und erbleichte.
Georg senkte den Kopf. »Doch, ich fürchte schon. Er wird ihn entlassen. Es ist die einzige Möglichkeit …«
»Nein!«, rief Lillian noch einmal, und nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Er darf ihn nicht entlassen! Nicht aus diesem Grund. Wovon soll er denn leben?«
»Er wird ein gutes Empfehlungsschreiben erhalten und sicher woanders eine neue Stelle finden. Mr Caldwell hat Kontakte auf der Nordinsel.«
»Nein!«, fuhr Lillian ihren Großvater an. »Das ist Unrecht, und das weißt du auch. Großvater, du musst ihm das ausreden. Wenn es sein muss, rede ich nicht mehr mit ihm, aber er darf nicht entlassen werden, denn er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«
»Lillian!«
»Großvater!« Ohne es zu wollen, klang Lillians Stimme auf einmal geradezu drohend, was Georg erschrocken dreinblicken ließ, denn diese Seite kannte er von seiner Enkelin noch nicht.
»Lillian, hör mir zu!«, flehte er. »Es ist doch nur für die Dauer des Baus. Wenn die Sternwarte fertig ist, wird alles anders.«
»Was denn? Kann Ravenfield euch das Land dann nicht mehr wegnehmen? Bekomme ich das Land dann als Brautgeschenk von ihm, weil du als Nächstes gezwungen wirst, mich mit ihm zu verheiraten?«
Mit einer fahrigen Bewegung wischte sich Lillian die Tränen aus dem Gesicht und sah ihren Großvater böse an.
»Ich wünschte, du wärst nie auf die Idee gekommen, hierherzugehen. Dann hätten wir unser Leben in Köln noch, Adele wäre noch da und ich müsste mich nicht mit einem Mann herumschlagen, der es sich in den Kopf gesetzt hat, mich zu erobern, obwohl ich ihn nicht will!«
»Aber Lillian, ich konnte nicht anders. Ich habe ein Versprechen gegeben, und ich muss es einhalten. Es geht um das Heil meiner Seele.«
»Denkst du auch mal an meine Seele?«
Ihr Großvater öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus.
Auf einmal war es Lillian unerträglich, hier zu sein. Sie stürmte aus dem Zimmer.
»Wo willst du denn hin?«, tönte die Stimme ihres Großvaters hinter ihr her.
»Raus!«, entgegnete Lillian, dann schlug sie die Haustür hinter sich zu.
Während sie die Straße entlang in Richtung Stadtrand stapfte, schossen ihr allerlei Verwünschungen durch den Kopf, und sie fragte sich, ob die Maori nicht auch einen Fluch für solche Fälle hatten. Am liebsten wäre sie zur Baustelle geritten, doch Caldwell war gewiss eher da als sie. Wahrscheinlich würde sie genau dann ankommen, wenn Henare gerade gefeuert wurde. Sie würde ihm nicht in die Augen sehen können, denn schließlich trug sie die Schuld an der ganzen Sache. Niemals hätte sie sich von Ravenfield einwickeln lassen dürfen!
Als schließlich die Verwünschungen nicht halfen, kauerte sie sich ins Gras und begann zu schluchzen.
Zwei Stunden später kehrte sie zurück. Der Zorn in ihrer Brust war ein wenig abgeebbt, ihre Seele fühlte sich merkwürdig dumpf an. Wie konnte Ravenfield sie nur so erpressen! Was war mit Caldwells Einfluss, konnte er nicht irgendwas tun?
Das Schlimmste war, dass Henare Ravenfields Zorn abbekam, obwohl sich die beiden nie begegnet waren! Wie konnte ein
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