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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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während er ihr so tief in die Augen schaute, dass ihr ein merkwürdiger Schauer über den Rücken lief.
    Lillian senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich werde sie aufbewahren, das wollte ich damit sagen.«
    Henare nickte, doch er schien zu ahnen, dass es nicht das war, was ihr wirklich durch den Kopf gegangen war.
    Schweigend setzten sie ihren Weg fort und erreichten schließlich eine Stelle des Bachlaufs, an der das Wasser vollkommen klar war. Wo es sich plätschernd über glatt geschliffene weiße Steine ergoss, hielt Henare seinen Eimer hinein, der sich in Sekundenschnelle füllte. Währenddessen ließ Lillian den Blick zwischen den Baumstämmen hindurchschweifen. Nirgends war ein Tier zu sehen. Selbst in deutschen Wäldern fand man um diese Zeit Tiere auf Futter- oder Wassersuche, doch hier war alles still. Nicht einmal unter dem Laub raschelte es. Hatten die Tiere sie gewittert? Oder führten sie ihr Leben in einem anderen Rhythmus, als es Tiere in Europa taten?
    »So, das dürfte reichen.« Henare erhob sich, wobei ein wenig Wasser auf seine Stiefel schwappte. »Ich rate Ihnen, Ihre Trinkflasche aufzufüllen, sobald wir wieder im Lager sind.«
    »Dieses Wasser kann man trinken?«
    »Warum denn nicht?«, fragte Henare verwundert. »Es ist das beste Wasser in der Gegend. Ich schätze, das gesamte Maori-Dorf trinkt davon, da wird es uns wohl auch nicht schaden.«
    Bei dem Verweis auf das Maori-Dorf fiel Lillian etwas ein, das ihr schon auf der Seele brannte, seitdem sie losgeritten waren.
    »Wie kommt es eigentlich, dass Sie keine Tätowierung haben?«, erkühnte sie sich zu fragen, bereute es aber schon im nächsten Augenblick, denn Henares Miene verfinsterte sich.
    »Nicht alle Maori haben ein moko«, antwortete er, nachdem er eine Weile zwischen den Baumstämmen hindurchgestarrt hatte.
    »Moko?«
    »So nennen wir die Tätowierung im Gesicht. Sie ist nicht nur Schmuck, sie ist auch Auszeichnung für gute Krieger oder angesehene Männer. Ich fürchte, ich bin weder das eine noch das andere.«
    »Aber Sie haben doch einen sehr respektablen Beruf. Und Sie wollen selbst Wissenschaftler werden. Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das mehr Ansehen verdient.«
    Henare schüttelte ganz leicht den Kopf, so als müsste er die Hoffnung aufgeben, dass sie ihn verstand. »Nicht alle Völker auf der Erde haben die gleiche Meinung über das Thema Ansehen. Ich bin von meinem Stamm getrennt und führe das Leben eines pakeha . Nicht alle Mitglieder meines Volkes sind damit einverstanden.«
    Lillian spürte deutlich, dass ihm das Thema unangenehm war.
    »Und wenn Sie jetzt dort im Dorf auftauchen? Werden sie mit Ihnen reden?«
    »Ich komme vorrangig als Übersetzer«, gab Henare zurück, ohne sie anzusehen. »Ich habe niemandem ein Leid zugefügt, warum sollten sie nicht mit mir sprechen?«
    Doch da war etwas in seiner Stimme, das eine gewisse Furcht verriet. Die Furcht, von jemandem im Stamm wiedererkannt zu werden. War es möglich? Oder vernebelte der feuchte Dunst zwischen den Bäumen ihr den Verstand?
    »Es ist sehr wichtig für meinen Großvater, dass er die Erlaubnis bekommt, die Sternwarte zu bauen«, sagte Lillian, während sie einen Farnwedel abriss und die Samenkapseln beobachtete, die sich von der Unterseite der Blätter lösten. »Er sagt, er habe ein Versprechen gegeben, das er erfüllen möchte.«
    »Ich weiß«, gab Henare zurück und blieb dann stehen. »Und ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, damit er das Land bekommt. Versprechen sollte man halten; das, glaube ich, ist bei unseren beiden Völkern sehr erwünscht, nicht wahr?«
    Wiederum nickte Lillian. »Es ist notwendig, um das Vertrauen zu demjenigen zu bewahren, dem man das Versprechen gegeben hat.«
    Henare sah ihr ernst und tief in die Augen. Ein warmer Schauer überlief Lillian, und verwirrt stellte sie fest, dass sie seinem Blick nicht standhalten konnte, ohne Gedanken zu hegen, die sich absolut nicht gehörten.
    Nach kurzer Zeit schlug sie die Augen nieder. In dem Moment regte sich hinter ihnen im Lager etwas.
    »Lillian?«, klang eine Stimme durch den Nebel.
    »Wir sollten zurückgehen«, sagte Henare und wirkte beinahe ein wenig enttäuscht.
    »Wir sind hier, Großvater!«, rief Lillian zurück, damit er sich keine unnötigen Sorgen machte; dann eilten sie mit großen Schritten zum Lager zurück.
    Caldwell war inzwischen ebenfalls auf den Beinen und blickte sie beide verwundert an.
    »Wir haben nur Wasser geholt«,

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