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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Kopfhöhe reichte der grün-rot-weiße Stein, darüber warennoch die Reste einer hellblauen Tünche mit fein aufgemalten grasgrünen Ranken und himbeerrosa Blüten zu erkennen.
    Die Haupttür zur vormaligen Wohnung von Mâconnais-Rambouillon war verschlossen. Doch einer der Schleichwege, die ich beim ersten Besuch gefunden hatte, war gangbar. Durch den Dienstboteneingang zur Rechten gelangte ich hinein. De Paul versprach, aufzupassen und mich zu warnen, falls Gefahr im Verzug wäre. Was blieb ihm auch übrig, wenn er seine Kompositionen wiederhaben wollte? Und den Parry, der vielleicht Anne de Pouquet gehört hatte …
    Ich dachte an die Pistole von Beatrice de Grève, deren Harfenspiel hier nur noch schwach zu hören war, und schauderte leicht, die mitgebrachte Waffe im Beutel betastend. Dann schloss de Paul die Tür hinter mir, und ich ging vor zur Küche, um einen Blick hineinzuwerfen. Unzweckmäßig, nach Art der Anfangsjahre des Jahrhunderts – für die Bewirtung größerer Tafeln der blanke Hohn. Dass große Küchenmeister wie mein Urgroßvater einer war nicht selten in solchen Löchern Höchstleistungen vollbracht hatten, scheint uns Heutigen ganz unbegreiflich. Ein kleines Steinschlossfeuerzeug stand auf dem gemauerten Rand des Rauchfangs. Es war erst unlängst mit frischem Feuerschwamm bestückt worden. Ich untersuchte die Feuerstelle, um eventuelle Spuren der letzten Speisebereitung zu finden, doch Thea und Lore hatten ganze Arbeit geleistet. Sogar die Asche war aus der Herdschale entfernt.
    Ich kehrte in den Vorraum zurück und betrat durch die nächste Tür einen der beiden Nebenräume des Salons. Gesetzt den Fall, der Mann mit den Kaffeebohnen wäre auf dem gleichen Weg hereingekommen, so hätte er nun die nächtliche Szenerie vor sich. Eine
ménage à trois
? Wie hattemein gelehrter Mann mir in seinem Vortrag dargelegt: Die Wollust im Hier und Jetzt wurde von den Anhängern Swedenborgs nicht verteufelt. Der irdische Sündenpfuhl musste seinem Namen ja gerecht werden … Wenn etwas unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschah – wozu dieses Palais besser geschaffen war als irgendein anderer Ort in den engen Zollschranken Berlins – und keinem Außenstehenden schadete, dann wäre ich die Letzte gewesen, die etwas dawider einzuwenden gehabt hätte.
    Traute ich nun aber gerade Anne de Pouquet, der Stillen und Feinen, Vornehmen, deren blasses, weiches Gesicht mir vertrauter wurde und näherrückte, je länger sie tot war, lustvolle Ausschweifungen im schwülen Kerzenschein eines mitternächtlichen Salons zu? Man soll über Tote nichts Schlechtes reden. Aber jeder von uns hat geheime Seiten, und was uns frommt, bestimmen wir im Grunde selbst. Hatte sich dieses in meinen Augen so unscheinbare Wesen mehreren Männern auf einem improvisierten Altar hingegeben? Die Vorstellung war abseitig und absurd.
    Gab es nicht Menschen, die anders dachten? Christen etwa hatten es sich seit jeher zur Aufgabe gemacht, zu bekämpfen, was ihren eigenen Vorstellungen von der guten Welt nicht entsprach. Ob man Ketzer auf den Scheiterhaufen zerrte, aufs Rad flocht oder köpfte, ob man ihnen die Zungen herausschnitt oder sie henkte, das kam aufs Gleiche heraus. Das Glück und die Freude und die Lust der anderen, es war ihnen hassens- und verdammens-, ja tötenswert. Gab es etwa im Polizeistaate des Ultrachristen Wöllner, im christlichen Pferch der Orthodoxie, wo die kleinste Abweichung von den Katechismen, exegetischen Brevieren und Liederbüchern mit Amtsenthebung geahndet wurde, ein Exekutionskommando zur Bekämpfung etwaiger Exzesse in den Salons? Das hätte sich, der Volksmeinung entsprechend,vor allem im Potsdamer Salon des Geheimkämmerers Rietz umsehen müssen, wo die dralle Schauspielerin Baranius die ordinäre Festkönigin bacchantischer Orgien war.
    Ich schüttelte alle derartigen Gedanken von mir und verwies die Überlegungen über das Motiv der Tat vorerst ins weite Feld der Spekulation. Die Kälte in den Räumen tat das Ihre, mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Ich wandte mich den handfesten Dingen zu, deretwegen ich hergekommen war, und suchte mir die Lage der Leichen zu vergegenwärtigen, soweit sie mir von der de Grève beschrieben worden war.
    Was hatte mir überdies Theden zugeflüstert – Mâconnais-Rambouillon und Dampmartin waren bewusstlos geschlagen worden, bevor man sie erdrosselte. Anne de Pouquet, das Frauenzimmer, war leicht zu überwältigen. Deshalb landete sie ohne Betäubung in der

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