Der Rote Wolf
fassen.«
Yngve, der Alkoholiker, trat einen Schritt vor. »Na toll«, meinte er. »Aber hat hier denn keiner was zu trinken?«
Hans Blomberg öffnete den obersten Knopf seiner Jacke und holte aus der Innentasche des Mantels eine Flasche Wodka heraus. Yngve riss die Augen auf, seine Lippen öffneten sich entzückt, und er nahm die Flasche vorsichtig entgegen, als wäre sie ein Kind.
»Ich dachte, wir könnten ein wenig feiern«, meinte Hans Blomberg und nickte aufmunternd.
Mit Tränen in den Augen drehte Yngve den Verschluss ab. Annika sah zu Boden und wackelte mit den Zehen, damit sie nicht vor Kälte starr wurden.
Was würden sie mit ihr machen?
Es ist nicht wie im Tunnel, es ist nicht wie im Tunnel.
Karina Björnlund ließ ihre Tasche wieder zu Boden fallen.
»Ich begreife nicht, warum wir hier sind«, sagte sie.
»Deine Macht hat dich ungeduldig werden lassen«, meinte Göran Nilsson. Er sah die Ministerin mit seinen Drachenaugen an und wartete, bis er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden hatte. Dann hob er den Kopf und schaute zur Decke.
»Es ist mir durchaus bewusst, dass meine Einladung einige von euch überrascht hat«, sagte er. »Es ist lange her, dass ich euch auf diese Weise versammelt habe, und meine Aufforderung hat bei euch widersprüchliche Gefühle ausgelöst. Aber ihr braucht keine Angst zu haben.«
Er sah die Kultusministerin an.
»Ich bin nicht gekommen, um euch zu schaden«, sagte er. »Ich bin hier, um euch zu danken. Ihr wart die einzige Familie, die ich je hatte, und das sage ich ohne jede Sentimentalität.«
»Und warum hast du dann Margit umgebracht?«, fragte Karina Björnlund mit angsterfüllter Stimme.
Göran Nilsson schüttelte den Kopf, seinen gelben Drachenkopf, seinen gottgleichen, übel riechenden Herrscherkopf.
»Du hörst mir nicht zu«, sagte er. »Du redest einfach immer weiter. Früher warst du anders. Die Macht hat dich wirklich verändert.«
Hans Blomberg trat einen Schritt vor, schien die Nebensächlichkeiten leid zu sein.
»Sag mir, was ich tun soll«, sagte er zu seinem Führer. »Ich bin bereit für den bewaffneten Kampf.«
Göran Nilsson wandte sich ihm zu, und in seinem Blick lag Wehmut.
»Panther«, sagte er, »es wird keinen bewaffneten Kampf geben. Ich bin heimgekehrt, um zu sterben.«
Der Archivar riss die Augen auf und machte ein dümmliches Gesicht.
»Aber du bist doch zurück«, sagte er. »Du bist doch wieder hier, du, unser Führer, auf den wir all die Jahre gewartet haben. Die Revolution steht kurz bevor.«
»Die Revolution ist tot«, erwiderte der Drache unerbittlich. »Die kapitalistische Gesellschaft, die die Menschen wie Vieh benutzt, hat gesiegt, und damit auch die verlogenen Ideologien: Demokratie, Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, die Rechte der Frauen.«
Hans Blomberg lauschte andächtig, Karina Björnlund schien mit jedem Wort kleiner zu werden, und der Säufer war voll und ganz mit seiner neu errungenen Flasche Seligkeit beschäftigt.
»Die Arbeiterklasse ist zu einer gehirngewaschenen Herde geistesschwacher Konsumenten reduziert worden«, sagte Göran Nilsson. »Es gibt nicht einmal mehr den Willen in ihr, sich zu rehabilitieren. Falsche Autoritäten treiben das Volk in den Fleischwolf, ohne dass jemand protestiert.«
Sein Blick richtete sich auf Karina Björnlund.
»Die Obrigkeit verbraucht die Menschen, heute so gut wie früher«, sagte er, und seine Stimme war klar und fest. »Die Herrschenden wringen uns aus wie Spüllappen und werfen uns anschließend weg. Es ist wie zu allen Zeiten, aber heute sind es demokratisch gewählte Regierungen, die zulassen, dass die Blut saugenden Käufer der Arbeitskraft uns bis aufs letzte Hemd ausbeuten. Ich habe akzeptiert, dass es so ist, und ich habe auf meine eigene Art dagegen gekämpft.
Aber Revolution?«
Er schüttelte den Kopf.
»Es wird nie eine Revolution geben. Die Menschen haben sie für Coca-Cola und Kabelfernsehen verkauft.«
Hans Blomberg starrte ihn an, seine Augen glänzten, und er schien verwirrt.
»Aber das ist doch nicht wahr«, sagte er. »Du bist zurück, und ich habe so sehr auf dich gewartet. All die Jahre habe ich trainiert, genau wie du gesagt hast. Ich bin bereit. Es ist nicht zu spät.«
Göran Nilsson hob die Hand.
»Mir bleibt nur noch wenig Zeit in diesem Leben«, sagte er. »Ich habe die Bedingungen meines Daseins akzeptiert, sowohl die persönlichen als auch die gesellschaftlichen, die für uns alle gelten. Im Grunde gibt es
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