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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Bildrand von Maos Porträt niedriger anzusetzen als den oberen Bildrand von Lenin oder Marx, um angeklagt zu werden, man würde falsche Ansichten vertreten.«
    »Du kanntest nicht zufällig einen Göran Nilsson, der damals ein aktiver Rebell war?«, fragte Annika und sah Berit gespannt an.
    Ihre Kollegin griff sich einen Zahnstocher und runzelte die Stirn.
    »Nicht, dass ich wüsste«, sagte sie. »Sollte ich?« Annika seufzte und schüttelte den Kopf. »Hast du es im Archiv probiert?«, fragte Berit. »Die haben nichts gefunden.«
    In Berits Stirn gruben sich tiefe Falten.
    »Am 1. Mai jenes Jahres sind die Rebellen in einem langen Demonstrationszug durch Uppsala gezogen. Wenn ich mich recht erinnere, haben alle großen Zeitungen darüber berichtet. Vielleicht war er ja dabei?«
    Annika stand mit dem Tablett in der einen und ihrem Portemonnaie in der anderen Hand auf.
    »Das werde ich auf der Stelle recherchieren«, meinte sie. »Kommst du mit?«
    »Warum nicht?«, sagte Berit.
    Sie nahmen den Hinterausgang der Kantine, stiegen die Feuertreppe in den zweiten Stock hinauf und nahmen dann einen Verbindungsgang zum gigantischen Text- und Bildarchiv der Zeitung. Alles, was im
Abendblatt
und in der vornehmen
Tageszeitung
in den letzten hundertfünfzig Jahren abgedruckt worden war, lagerte hier.
    »Die Zeitungsbände stehen ganz links«, sagte Berit.
    Wenige Minuten später hatten sie die
Tageszeitung
vom Mai 1968 gefunden.
    Annika holte die Folianten mit eingebundenen Zeitungen vom obersten Regalbrett, und Staub und Schmutz rieselten auf ihr Gesicht herab. Sie hustete und zog eine Grimasse.
    Am 2. Mai 1968 gehörte die Titelseite der Demonstration der Rebellenbewegung in Uppsala, die am Vortag stattgefunden hatte. Annika zog die Augenbrauen zusammen und sah sich das Bild genauer an.
    »Sind das hier deine revolutionären Rebellen?«, fragte sie erstaunt. »Die sehen doch alle aus wie die letzten Spießer.«
    Berit strich mit der Hand über die vergilbte Zeitungsseite, was das Papier leise knistern ließ, und ihr Mittelfinger verweilte beim kurz geschnittenen Scheitel des Anführers.
    »Das haben sie bewusst so gemacht«, sagte sie mit abwesender Stimme. »Sie wollten den einfachen Bürgern so ähnlich sehen wie eben möglich. Man versuchte sich auf einen Prototyp für den hoch industrialisierten Arbeiter zu einigen, aber ich glaube, es ist ihnen nie wirklich gelungen. Ein gepflegtes Jackett und ein weißes Hemd wurden zur Norm. Ja, die waren richtig raffiniert in Uppsala.«
    Sie lehnte sich an das Bücherregal, verschränkte die Arme und sah zur Decke.
    »Im Mai '68 kam es in ganz Frankreich zu einem Generalstreik«, erläuterte Berit. »Eine Million Menschen demonstrierten in Paris gegen den kapitalistischen Staat. Die Rebellen wollten gemeinsame Sache mit ihren französischen Brüdern machen und organisierten an einem Freitagabend eine revolutionäre Massenkundgebung am Schlossberg von Uppsala. Wir sind damals auch mit ein paar Leuten hingefahren, es war schrecklich.« Sie schüttelte den Kopf und sah zu Boden. »Es waren ziemlich viele Leute gekommen, mindestens dreihundert Menschen, und die Rebellen begingen den Fehler, es genauso zu machen wie bei ihren eigenen Seancen, das heißt, sie lasen aus ihren heiligen Schriften vor. Das Publikum, das zum größten Teil aus ganz normalen Leuten bestand, reagierte auch völlig normal, sie buhten die Jungs aus und lachten sich kaputt.«
    Gefesselt von Berits Erzählung, trat Annika einen Schritt näher.
    »Welche Schriften?«
    Berit blickte auf.
    »Na, Zitate von Mao natürlich«, sagte sie, »oder Lin Piaos Broschüre
Es lebe der Sieg im Volkskrieg
oder die sechzehn Thesen des Zentralkomitees zur Kulturrevolution … Die Rebellen verloren jegliche Hemmungen, und als die Leute nichts mit ihren Texten anfangen konnten, gingen sie vor, wie sie es gewohnt waren, wenn jemand eine andere Meinung hatte, und griffen die Leute aggressiv und rabiat an.«
    Bei der Erinnerung an diese Vorgänge schüttelte sie den Kopf.
    »Eine direkte Konsequenz dieser Versammlung bestand darin, dass die normalen linken Gruppen ihre Zeitungen wie zum Beispiel das Vietnam-Bulletin nicht mehr am Arbeitsplatz verkaufen durften. Findest du deinen Göran?«
    »Ich bleibe noch hier und lese ein bisschen«, erwiderte Annika und zog sich einen wackligen Stuhl heran.
    »Du weißt ja, wo du mich findest, wenn etwas ist«, meinte Berit und ließ sie im Papierstaub allein.
    Anne Snapphane flog über den

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