Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
besprach sich in einem der großen Versammlungsräume im Inneren der Trasé mit den Heerführern und schmiedete Pläne für die Befreiung Gonduns.
Am nächsten Tag jedoch, als Tenan wieder einmal an der Reling stand und auf die See starrte, trat Amberon plötzlich neben ihn.
»Es wird Zeit, mit deiner Ausbildung zu beginnen«, eröffnete er ihm. »Begleite mich in meine Kajüte.«
Tenan zuckte unwillkürlich zusammen. Würde er bei den magischen Übungen versagen wie damals, als Osyn ihn unterrichtete? Seine Hände fühlten sich feucht an, als er dem Erzmagier die schmalen Treppen und Leitern hinunter in dessen Kabine folgte. Sie war ähnlich eingerichtet und so hell wie der Raum in den Hallen von Arleth, in dem Amberon seine Erinnerungen durchsucht hatte. Die Fenster waren mit schwerem, golden schimmerndem Tuch verhangen, mehrere Kerzen verbreiteten ein angenehmes Licht. Amberon gebot Tenan, auf einem Hocker Platz zu nehmen, während er sich ihm gegenüber setzte.
»Bei jedem anderen Schüler, der so jung ist wie du, würde ich mit der Ausbildung langsam beginnen«, eröffnete der Erzmagier das Gespräch. »Aber da uns die Zeit fehlt und du schon gewisse Fähigkeiten besitzt, werden wir so schnell wie möglich mit denjenigen Übungen anfangen, die deine geistigen Kräfte stärken und öffnen sollen.« Der Magier von Dan blickte Tenan ernst an. »Wir ziehen in einen Krieg und es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir in Kämpfe verwickelt werden; bis es so weit ist, solltest du zumindest über einige Grundlagen der magischen Verteidigung und des Angriffs verfügen.«
Angriff und Verteidigung – das hörte sich interessant an! Gespannt beugte sich Tenan vor, um Amberons Worten zu lauschen.
»Das dhorin ist die Grundlage allen Handelns«, erklärte der weiter. »Aus ihm beziehen die Dan-Ritter ihre Stärke. Der normale Geist eines Menschen ist überflutet von Gedanken und Gefühlen, die verhindern, dass er sich seines inneren Wesens bewusst wird. Indem wir uns darin üben, die Stille des Geisteszu erreichen, machen wir uns durchlässig für das dhorin, sodass es wieder zu einem natürlichen Teil von uns wird. Doch sei gewarnt! Die Verbindung zum dhorin, welche die Dan vinesh-ra nennen, ist keine Angelegenheit, die sich schnell verwirklichen lässt. Es bedarf ständiger geistiger Übung, denn allzu leicht verliert man sich wieder im Alltäglichen.« Als er Tenans skeptischen Blick sah, musste er lachen. »Du scheinst nicht viel von geistigen Übungen zu halten, nicht wahr?«
»Meister Osyn hat ein ganzes Leben lang versucht, mir diese Dinge beizubringen, aber ich habe allzu oft versagt«, antwortete Tenan und fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.
»Vermutlich hast du dich lieber mit deinen Freunden herumgetrieben?«, schmunzelte Amberon.
»Ich war im Schwertkampf schon immer besser als in den Künsten der Comori«, entgegnete Tenan ausweichend.
»Du wirst vielleicht erstaunt sein, wenn ich dir sage, dass ich in jungen Jahren, nachdem ich in den Orden aufgenommen wurde, genauso empfand wie du. Ich hasste die geistigen Übungen, denn sie waren eine tägliche Qual, das bewegungslose Herumsitzen und ständige Rezitieren magischer Texte langweilten mich. Doch irgendwann merkte ich, dass mir die Übungen leichter von der Hand gingen und ich ihre Wirkungen spüren konnte, je mehr ich mich auf sie einließ. Ich begann sie bereitwillig auszuführen und merkte, wie sie meinen Geist weiteten. Trotzdem gibt es auch jetzt manchmal Tage, an denen es mir schwerer fällt, mich mit meinem inneren Wesen zu verbinden. Insofern ist das tägliche Üben also durchaus vergleichbar mit einem Kampf, nur dass du selbst dein einziger Gegner bist.«
Amberons Worte schafften es, Tenans Interesse zu wecken, und fortan verbrachte er viele Stunden in der Gegenwart des Erzmagiers, der ihn anleitete und führte, wann immer es seineAufgabe als Heeresführer zuließ. Eisern stand Tenan jeden Tag frühmorgens auf, lange bevor die Sonne ihre ersten Strahlen übers Wasser schickte, und übte sich in der Verbindung mit dem inneren Wesen. Wie Amberon vorhergesagt hatte, zeigte seine Beharrlichkeit tatsächlich bald erste Wirkung, er bemerkte, dass er den Strom seiner inneren Bilder und Gedanken immer besser in ruhigere Bahnen lenken konnte.
Schon nach einigen Tagen zeigte sich der Erzmagier über den Eifer und die Fortschritte seines Schülers erfreut. »Bewahre dir deinen offenen Geist und dein Interesse, dann wird dir vieles leichter
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