Der Ruf Der Trommel
in ihrem schützenden Umhang gesteckt hatte.
»Er hat einen Grund gehabt. Es hat nicht an Euch gelegen. Doch das muß er Euch selbst erzählen, wenn er es will. Doch Ihr habt ihm verziehen«, sagte sie leise. »Warum?«
Jetzt richtete er sich auf und zuckte mit den Achseln, schob ihre Hand aber nicht fort.
»Ich mußte es.« Er sah sie an, sein Blick direkt und ruhig. »Ich habe ihn gehaßt, solange ich konnte. Aber dann wurde mir klar, daß, ihn zu lieben… daß das ein Teil von mir war, und zwar einer der besten Teile. Es spielte keine Rolle, daß er mich nicht lieben konnte, das hatte nichts damit zu tun. Aber wenn ich ihm nicht verzeihen konnte, dann konnte ich ihn auch nicht lieben und hatte diesen Teil von mir verloren. Und irgendwann habe ich festgestellt, daß ich ihn wiederhaben wollte.« Er lächelte schwach. »Ihr seht also, eigentlich war es pure Selbstsucht.«
Dann drückte er ihre Hand, stand auf und zog sie hoch.
»Kommt, meine Liebe. Wir werden beide hier festfrieren, wenn wir noch länger sitzenbleiben.«
Sie gingen zum Haus zurück, sprachen nicht, gingen aber dicht nebeneinander her, Arm in Arm. Als sie wieder die Gärten durchquerten, ergriff er abrupt das Wort.
»Ich glaube, daß Ihr recht habt. Mit jemandem zusammenzuleben, den man liebt, obwohl man weiß, daß er die Beziehung nur aus Pflichtgefühl duldet - nein, das würde ich auch nicht tun. Wenn es auf beiden Seiten nur mit praktischen Gründen und Respekt zu tun hat, dann ja; eine solche Ehe ist ehrenvoll. Solange beide Partner völlig aufrichtig sind«, sein Mund zuckte kurz, während er zum Dienstbotenquartier hinüberblickte, »braucht sich keiner zu schämen.«
Sie sah auf ihn herab und strich sich mit der freien Hand eine zerzauste, kupferne Haarsträhne aus den Augen.
»Dann nehmt Ihr meinen Antrag an?« Das hohle Gefühl in ihrer Brust fühlte sich gar nicht wie die Erleichterung an, mit der sie gerechnet hatte.
»Nein«, sagte er geradeheraus. »Ich mag Jamie Fraser verziehen haben, was er in der Vergangenheit getan hat - doch er würde mir niemals verzeihen, wenn ich Euch heiraten würde.« Er lächelte sie an und tätschelte die Hand, die in seiner Armbeuge steckte.
»Aber ich kann Euch zu einer Atempause von Euren Freiern und Eurer Tante verhelfen.« Er blickte auf das Haus, dessen Vorhänge reglos hinter den Scheiben hingen.
»Würdet Ihr annehmen, daß uns jemand beobachtet?«
»Ich würde sagen, Ihr könnt darauf wetten«, sagte sie ein wenig grimmig.
»Gut.« Er zog sich den Saphirring vom Finger, wandte sich ihr zu und ergriff ihre Hand. Er zog ihr den Handschuh aus und ließ ihr den Ring feierlich auf den kleinen Finger gleiten - den einzigen, auf den er paßte. Dann stellte er sich elegant auf die Zehenspitzen und küßte sie auf die Lippen. Ohne ihr Zeit zu lassen, sich von ihrer Überraschung zu erholen, umfaßte er ihre Hand und wandte sich erneut zum Haus. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Kommt, meine Liebe«, sagte er. »Wir wollen unsere Verlobung bekanntgeben.«
60
Die Feuerprobe
Man überließ sie den ganzen Tag sich selbst. Das Feuer war erloschen, und es gab nichts zu essen. Es spielte keine Rolle; keiner der beiden Männer hätte etwas essen können, und kein Feuer hätte jemals die Kälte in Rogers Seele erreicht.
Am späten Nachmittag kehrten die Indianer zurück. Mehrere Krieger eskortierten einen Greis, der in ein wallendes Spitzenhemd und einen gewebten Mantel gekleidet war, das Gesicht mit Rot und Ocker bemalt - der Sachem , der einen kleinen, mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllten Keramiktopf in der Hand trug.
Alexandre hatte seine Kleider angezogen; als der Sachem auf ihn zutrat, stand er auf, doch keiner von ihnen sprach oder bewegte sich. Der Sachem begann, mit seiner gebrochenen, alten Stimme zu singen, tauchte dabei eine Kaninchenpfote in das Töpfchen und malte das Gesicht des Priesters von der Stirn bis zum Kinn schwarz an.
Die Indianer verließen die Hütte wieder, und der Priester setzte sich mit geschlossenen Augen auf den Boden. Roger versuchte, ihn anzusprechen, ihm Wasser anzubieten oder zumindest das Bewußtsein, daß er nicht allein war, doch Alexandre reagierte nicht und saß da, als sei er aus Stein gemeißelt.
Als das Zwielicht dahinschwand, begann er schließlich zu sprechen.
»Mir bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte er leise. »Ich habe Euch schon einmal darum gebeten, für mich zu beten. Damals wußte ich nicht, worum Ihr beten solltet - darum, daß
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