Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
gefährliche Kombination sein. Sooft sie auch unterschiedlicher Meinung waren, sooft er ihr auch auf die Nerven ging, sie mochte ihn. Sie hatten zu viel gemeinsam, um ernsthaft aneinander zu geraten.
Wenigstens hatte sie diesmal nicht ihr Herz verloren, und darüber war sie froh. Jemanden zu mögen und ihn zu begehren, musste nicht zwingend mit Liebe zu tun haben. Logischerweise fiel der Sex befriedigender aus, wenn eine Frau sich zu dem fraglichen Partner hingezogen fühlte oder sogar Freundschaft für ihn empfand. Aber nicht minder logischerweise
war es absolut albern, sich zu verlieben, wenn das Ende bereits absehbar war.
Matthew würde seinen Anteil an der Beute nehmen und sich aus dem Staub machen. Genauso, wie sie ihren Anteil nehmen würde. Wirklich schade, dass ihre Vorstellungen in dieser Beziehung so weit auseinander lagen. Aber das spielte keine Rolle, solange keiner von beiden den Zielen des anderen in die Quere kam.
Tate runzelte die Stirn und rief auf ihrem Laptop eine neue Datei auf. Der Artikel über den Fluch der Angelique, an dem sie gerade arbeitete, erschien auf dem Bildschirm.
Legenden wie die um das Maunoir-Amulett, auch unter dem Namen »Der Fluch der Angelique« bekannt, basieren häufig auf Fakten. Obwohl es jenseits aller Logik wäre, einem Gegenstand mystische Kräfte zuzuschreiben, ist der Ursprung der Legende selbst durchaus real. Angelique Maunoir lebte in der Bretagne und war in ihrem Dorf als weise Frau oder Heilkundige bekannt. Tatsächlich besaß sie ein juwelenbesetztes Halsband wie das oben bereits beschriebene Amulett, ein Geschenk ihres Ehemannes Etienne, des jüngsten Sohnes des Comte Du Tache. Dokumenten zufolge wurde sie verhaftet, der Hexerei beschuldigt und im Oktober 1553 hingerichtet.
Auszüge aus ihrem Tagebuch geben uns Hinweise auf ihre Geschichte und ihre Gedanken am Vorabend der Hinrichtung. Am 10. Oktober jenes Jahres wurde sie auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt. Die wenigen überlieferten Dokumente bestätigen die Annahme, dass sie sechzehn Jahre alt war. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass man sie, wie es damals gelegentlich geschah, aus Barmherzigkeit zunächst erwürgte, anstatt sie bei lebendigem Leib zu verbrennen.
Wer die Worte liest, die sie in der Nacht vor ihrer Hinrichtung schrieb, fragt sich unweigerlich, wie sich die
Legende vom Fluch der Angelique entwickelte und verbreitete.
ANMERKUNG: Transkription des letzten Tagebuchteils.
Ein Fluch auf dem Todesbett, ausgesprochen von einer verzweifelten, verängstigten Frau?
Einer unschuldigen Frau, die den Verlust ihres geliebten Ehemannes betrauert, verraten von ihrem Schwiegervater, im Angesicht einer grausamen Hinrichtung, und zwar nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der ihres ungeborenen Kindes. Auf dieser Art von Fakten sind Mythen begründet.
Unzufrieden mit ihrer eigenen Einschätzung der Tatsachen, lehnte Tate sich zurück und überflog den Artikel noch einmal. Als sie nach der Thermoskanne griff, bemerkte sie, dass Buck in der Tür erschienen war.
»Oh, hallo. Ich dachte, du säßest mit Matthew und LaRue auf der Mermaid fest.«
»Der verdammte Kanadier treibt mich noch in den Wahnsinn«, murmelte Buck. Von seiner gelben Öljackte tropfte Wasser, und seine dicken Brillengläser waren beschlagen. »Ich dachte, ich schaue mal vorbei und besuche Ray.«
»Er und Mom sind vermutlich auf der Brücke und hören sich den Wetterbericht an.« Tate goss sich Tee ein und hielt ihm den zur Hälfte gefüllten Deckel der Thermoskanne hin. Sie erkannte, dass nicht allein LaRue für Bucks Nervosität verantwortlich war. »Zuletzt habe ich gehört, dass der Sturm bald abzieht. Bis morgen Vormittag dürfte alles vorbei sein.«
»Vielleicht.« Buck nahm den Tee, doch dann setzte er die Tasse ab, ohne daraus getrunken zu haben.
Tate kannte ihn gut genug, um den Laptop beiseite zu schieben. »Zieh das nasse Ding aus, Buck, und setz dich zu mir. Ich könnte eine Pause und etwas Gesellschaft gebrauchen.«
»Ich will dich aber nicht von deiner Arbeit abhalten.«
»Bitte.« Sie lachte und stand auf, um noch eine Tasse aus der Kombüse zu holen. »Bitte störe mich bei meiner Arbeit, und wenn es nur für ein paar Minuten ist.«
Erleichtert zog er seine triefende Öljacke aus. »Ich dachte, Ray hat vielleicht Lust, Karten zu spielen oder so. Irgendwie weiß ich nichts mit mir anzufangen.«
»Fühlst du dich rastlos?«, fragte sie leise.
»Ich weiß, dass ich den Jungen im Stich lasse«, brach es
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