Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
ich das Kommando, und wir reisen nach Chicago.«
»Und wie zur Hölle sollen wir dort hinkommen? Wir haben nichts.« Unbewusst griff er an die Stelle, wo sein Bein war. »Weniger als nichts!«
»Die Sea Devil , die Ausrüstung und ein paar andere Sachen haben uns mehrere Tausender eingebracht.«
Kreidebleich sah Buck ihn an. »Du hast das Boot verkauft?
Mit welchem Recht? Die Sea Devil war mein Eigentum, Junge.«
»Zur Hälfte gehörte sie mir«, berichtigte Matthew ihn achselzuckend. »Und als ich meinen Anteil verkaufte, ging deiner ebenfalls flöten. Ich habe getan, was ich tun musste.«
»Weglaufen«, sagte Buck und wandte sich ab. »Und verkaufen!«
»Genau. Jetzt werde ich uns einen Flug nach Chicago buchen.«
»Ich gehe nicht nach Chicago.«
»Wohin du gehst, bestimme ich. So läuft das nun einmal.«
»Und ich sage dir: Scher dich zur Hölle.«
»Solange wir auf dem Weg durch Chicago kommen«, erwiderte Matthew und ging.
Die Krankenhausrechnung fiel um einiges höher aus, als Matthew erwartet hatte. Er hatte seinen Stolz hinuntergeschluckt und kühlte nun seine raue Kehle mit einem Bier. Er wartete in der Hotelbar auf Ray.
Tiefer, so überlegte er, kann ich nicht mehr sinken. Seltsam, noch vor ein paar Monaten hatte er so gut wie nichts besessen, nur ein ziemlich abgetakeltes Boot, ein wenig Bargeld in einer Blechdose, keine dringlichen Pläne, keine großen Probleme. Aus heutiger Sicht hätte er sich damals glücklich schätzen können.
Dann war auf einmal alles zum Greifen nahe gewesen. Eine Frau, die ihn liebte, die Aussicht auf Ruhm und Reichtum. Erfolg, wie er ihn nie für möglich gehalten hatte, schien plötzlich in Reichweite. Beinahe hätte er das Instrument zu der Rache, von der er seit neun Jahren träumte, in der Hand gehalten.
Und jetzt hatte er alles verloren, die Frau, die vielversprechenden Zukunftsaussichten, sogar die Dinge, die einmal sein Leben gewesen waren. Es war so viel schwerer, zu verlieren, wenn man sich schon einmal als Gewinner gefühlt hatte!
»Matthew.«
Er blickte auf, als er die Berührung auf seiner Schulter spürte. Ray glitt auf den Hocker neben ihn. »Danke, dass du heruntergekommen bist.«
»Ist mir ein Vergnügen. Ein Bier bitte«, sagte er zum Barkeeper. »Trinkst du noch eins, Matthew?«
»Klar, warum nicht?« Dies war nur der Beginn einer langen Nacht, in der sich Matthew sinnlos betrinken wollte.
»Wir haben uns in den letzten Tagen offenbar immer wieder verpasst«, begann Ray, dann tippte er mit seiner Flasche gegen Matthews. »Ich dachte, wir würden dich im Krankenhaus treffen, obwohl wir dort nicht so oft waren, wie wir eigentlich wollten. Buck steht der Sinn im Augenblick nicht nach Gesellschaft.«
»Nein.« Matthew ließ das kühle Bier durch seine Kehle laufen. »Er redet noch nicht einmal mit mir.«
»Das tut mir leid, Matthew. Er sollte es nicht an dir auslassen. Dich trifft keine Schuld.«
»Ich weiß nicht, was er schwerer nimmt, den Verlust seines Beins oder den der Marguerite.« Matthew lockerte seine Schultern. »Wahrscheinlich ist beides gleich schlimm.«
»Er wird eines Tages wieder tauchen«, behauptete Ray und strich mit einem Finger über die beschlagene Flasche. »Doktor Farrge hat mir versichert, dass er sich körperlich schneller als erwartet erholt.«
»Darüber wollte ich mit dir sprechen.« Es hatte keinen Sinn, das Thema noch länger aufzuschieben, allerdings hätte Matthew lieber vorher noch ein paar Bier gekippt. »Ich habe die Erlaubnis, ihn nach Chicago zu bringen. Morgen schon.«
»Morgen?« Hin und her gerissen zwischen Freude und Erstaunen, setzte Ray sein Bier abrupt ab. »Kommt das nicht ein wenig plötzlich? Ich hatte keine Ahnung, dass bereits alles vorbereitet ist.«
»Farrge meint, dass kein Grund besteht, noch länger zu
warten. Buck ist kräftig genug für die Reise, und je schneller er zu diesem Spezialisten kommt, desto besser.«
»Das ist schön, Matthew. Wirklich. Du bleibst doch mit uns in Kontakt? Lass uns wissen, wie es ihm geht. Marla und ich werden ihn in Chicago besuchen, sobald du es für sinnvoll hältst.«
»Ihr … ihr seid die besten Freunde, die er je hatte«, sagte Matthew vorsichtig. »Es würde ihm viel bedeuten, wenn ihr ihn besuchen kommt, sobald ihr es einrichten könnt. Ich weiß, dass er im Augenblick nicht sonderlich umgänglich ist, aber –«
»Mach dir deshalb keine Sorgen«, beruhigte Ray ihn leise. »Ein Mann, der das Glück hat, einen Freund wie Buck zu finden,
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