Der Ruf des Abendvogels Roman
Ethan am vergangenen Abend noch bei Maddy gewesen war. Ihre lebhafte Neugier diesbezüglich überraschte sie selbst, und sie verbrachte die nächste halbe Stunde damit, darüber nachzudenken, wie sie das Thema unverfänglich ansprechen könnte. Schließlich beschloss sie, sich vorsichtig heranzutasten. »Liefern Sie auchVorräte an Lottie und die Mädchen aus?«, fragte sie angelegentlich.
»Ich beliefere so ziemlich jeden zwischen Marree und Alice Springs«, erwiderte er trocken.
»Lottie befürchtete, dass die Leute anfangen könnten zu reden, wenn ich sie zu Hause besuche.«
»Das wäre sicher unausweichlich«, gab Ethan zurück. »Die Farmersfrauen sind oft allein, weil ihre Männer tage- oder wochenlang unterwegs sein müssen, um Schafe oder Rinder zusammenzutreiben und zu zählen. Der Funk ist ihre einzige Verbindung zu anderen Farmen, und es wird viel getratscht. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Ihr Leben damit verbringen wollen, sich darüber Gedanken zu machen, was andere Leute denken, oder ob Sie tun wollen, was Ihnen gefällt.«
»Ich mag Lottie und die Mädchen«, erwiderte sie.
Diesmal antwortete er nicht, doch sie spürte, dass er froh darüber war.
»Lottie hat mir erzählt, dass ihr Halunke von einem Mann sie verlassen hat«, fuhr sie fort. »Wissen Sie, ob Belle oder Maddy jemals verheiratet waren?«
Ethan lächelte leicht. »Ich kann nicht glauben, dass Sie so viel Zeit dort verbracht haben, ohne es selbst herauszufinden, Tara. Das sähe einer Frau wie Ihnen absolut nicht ähnlich.«
Tara fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
»Was Sie wirklich interessiert, ist, ob ich gestern Abend noch bei Maddy war.«
Einigermaßen verlegen gab Tara zurück: »Das sieht Ihnen ähnlich, Mr. Hunter, sich einzubilden, ich hätte ein solches Interesse an Ihrem Privatleben.« Sie wandte sich ab und tat, als sei sie völlig in den Anblick der Landschaft versunken. Neben sich glaubte sie, Ethan leise lachen zu hören.
Sie aßen und tranken im Sattel. Am späten Nachmittag war Tara und den Kindern die Erschöpfung anzusehen, doch Ethan bestand darauf, dass sie noch weiterritten. Hannah klagte schon seiteiniger Zeit über Schmerzen und rutschte unruhig hin und her. Aber erst als die Sonne langsam unterging, beschloss Ethan, ein Lager aufzuschlagen.
Während er den Kamelen ihre Last abnahm, sammelten Tara und die Kinder Holz, und sie zündete ein Feuer an. Ethan knetete einen Teig für das Pflanzenbrot, das die Eingeborenen Damper nannten, und backte es in einem provisorischen Ofen, den er mit sich führte. Als es fertig war, bestrichen sie es mit Marmelade. Ethan erklärte, für sich und Saladin brate er normalerweise eine Eidechse oder eine Schlange, doch er habe sich gedacht, sie hielten vielleicht nicht viel von solcher Buschkost. Jack beteuerte, dass er zumindest davon probiert hätte. Tara war sich da nicht so sicher.
Die Kinder schliefen gleich nach dem Essen ein, während Tara noch einen letzten Becher Tee trank, bevor sie sich ebenfalls hinlegte. Ethan saß auf der anderen Seite des Feuers und lauschte dem Gezirp der Zikaden.
Obwohl sie sehr müde war, starrte Tara voller Staunen zum dunklen Himmel hinauf: Noch niemals zuvor hatte sie so viele Sterne gesehen.
»Der Himmel bei uns ist fast immer bewölkt«, meinte sie, als sie sah, dass Ethan sie beobachtete. »In Irland regnet oder nieselt es jeden Tag irgendwo, und es war immer ein Problem, die Wäsche trocken zu bekommen.«
»Hier haben wir eher ein Problem mit der Wasserversorgung«, erwiderte Ethan. »Aber die Kleider sind schon ein paar Minuten nach dem Waschen wieder trocken. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann es zum letzten Mal richtig geregnet hat. Das war entweder gegen Ende des letzten oder des vorletzten Jahres ...«
Tara erschrak. »So lange ist es her? Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber ich vermisse den Regen richtig.« Obwohl die Sonne inzwischen untergegangen war, war es immer noch sehr heiß. Sie sehnte sich nach einem Bad, das die Müdigkeit aus ihren schmerzenden Muskeln vertrieb.
Ethan trank seinen Becher leer und schlug nach einer Mücke, die sich auf seinen Handrücken gesetzt hatte. »Wo haben Sie in Irland gewohnt?«
Seine Frage überraschte sie, und sie zögerte mit der Antwort. »Meine Familie stammt aus Edenderry in der Grafschaft Offaly«, sagte sie dann.
»Haben Sie dort auch mit Ihrem Mann und den Kindern gewohnt?«
»Nein, wir sind ziemlich viel
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