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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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leben.«
    »Aber du hast doch diese Winterplagen nur gegen Moskitos, Schlangen, Fliegen und Staub eingetauscht.«
    Victoria lachte. »So ist es wohl, aber ich liebe das Lachen der Kookaburras in den Bäumen, und wenn es regnet, finde ich das Geräusch der Tropfen auf dem Dach so tröstlich. Dann wird das Gras fast über Nacht grün, und es gibt plötzlich ganz viele Vögel. Nichts ist so aufregend, wie die Geburt eines Lamms oder eines Kalbes mitzuerleben. Wusstest du, dass Australien zu zwei Dritteln aus Wüsten besteht und dass diese Gegend früher ein riesiger Binnensee war?«
    Tara nahm es überrascht zur Kenntnis, doch in diesem Augenblick erregte eine Bewegung unter den Bäumen ihre Aufmerksamkeit. »Tante, ich glaube, ich habe dort unten eine Frau gesehen, eine Aborigine«, sagte sie. »Ich bin sicher, dass es nicht Nerida war.«
    »Du hast sicher Recht. Die Aborigines kommen und gehen, und man kann sie nicht aufhalten. Seit deiner Ankunft haben sie sich sehr rar gemacht. Sie befürchten wahrscheinlich, du bist eine Regierungsbeamtin und gekommen, um ihnen die Kinder fortzunehmen. Nugget, Bluey oder Charlie werden ihnen zwar inzwischen gesagt haben, dass es nicht stimmt, aber sie sind erst einmal vorsichtig. Wenn sie nicht auf Wanderschaft gehen, lagern sie oft nicht weit von hier. Kannst du den Rauch dort über den Bäumen sehen? Dort haben sie ihre Feuer gemacht.«
    Tara konnte mit Mühe den grauen Rauch ausmachen, der vor dem Hintergrund des tiefschwarzen Himmels über den Bäumen aufstieg. Er war ihr vorher nicht aufgefallen. Gerochen hatte sie ihn zwar, doch sie hatte geglaubt, es sei der Rauch des Lagerfeuers der Viehtreiber hinter dem Schererhaus.
    »Die Frau, die du gesehen hast, hat vielleicht Nugget besucht, oder auch Bluey. Ich verstehe ihre Familienstruktur noch immer nicht ganz, aber wundere dich nicht darüber, wenn plötzlich Kinder auftauchen, sobald sie wissen, dass von dir nichts zu befürchten ist.«
    »Ihre Kinder?«, fragte Tara und meinte Nugget und Bluey.
    »Vielleicht – wer weiß ... Die Frauen scheinen ständig schwanger zu sein. Die Kinder gehen Tadd zwar aus dem Weg, aber sie kommen trotzdem. Ich glaube, Nerida gibt ihnen zu essen und kleidet sie ein. Ab und zu vermisse ich etwas von meinen Sachen, meist alte Kleidungsstücke, die ich sowieso nicht mehr anziehen würde. Normalerweise tue ich so, als ob ich es nicht bemerke.« Sie lachte. »Einmal sah ich eine ältere Aborigines-Frau in einem meiner besten Abendkleider. Tom hatte es mir für eine Silvesterfeier in New York geschenkt. Es war aus Silberlamee und hinten und vorn sehr weit ausgeschnitten. Sie sah so komisch darin aus, mit ihren bis zur Taille hängenden Brüsten und ihrem verfilzten Haar mit den weißen Strähnen darin, dass ich laut zu lachen begann und nicht mehr damit aufhören konnte. Ich war außer mir, fast hysterisch, und die Tränen strömten mir über das Gesicht. Die arme Frau lief schreiend davon, und ich habe sie nie mehr wiedergesehen.«
    »Hast du denn dein Kleid wiederbekommen?«
    »Nein, aber das war auch nicht so schlimm. Es war sowieso dumm von mir, es mitzubringen. Ich kann es nur damit erklären, dass ich nicht wusste, was hier auf mich zukam. Ich habe genug Kleider mitgebracht, dass es für einen eigenen Laden gereicht hätte, und sie waren alle denkbar unpraktisch für das Leben hier draußen. Ethan zieht mich oft damit auf, dass er zusätzlicheKamele mitnehmen musste, nur um meine vielen Koffer zu transportieren.«
    Tara suchte mit ihren Blicken weiterhin nach der Frau, doch diese war verschwunden. Tara erkannte erfreut die Silhouetten von Kängurus und die anderer Tiere, die sich in der Nähe der Bäume bewegten, sah jedoch mit einigem Unbehagen auch rattenähnliche Wesen dort herumhuschen. Ein Rascheln in den Bäumen ließ sie zusammenzucken.
    »Das sind die Opossums«, sagte ihre Tante. »Gib Acht, dass du nicht in ihre Hinterlassenschaften trittst!«
    Tara trat vorsichtig einen Schritt zurück, als sie ein Blick aus großen, runden Augen von einem Ast oberhalb des Balkons traf.
    »Hat dir dein erster Tag hier gefallen?«, wollte Victoria wissen.
    »Er war ... einfach wundervoll, Tante Victoria.« Tara seufzte tief auf. Ihre Gefühle waren eine seltsame Mischung aus Glück einerseits und großer Sorge um das, was die Zukunft bringen würde. »Aber morgen fangen wir an, uns nützlich zu machen!«
    »Oh – und was wollt ihr tun?«
    »Ich werde mich um den Gemüsegarten kümmern.«
    Victoria

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