Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
sie ganz, ganz langsam in die Höhe. Ich sah ihnen dabei zu, wie sie sicher und unbeirrt aufstiegen und fast einen halben Meter über meinem Kopf ausharrten, bis sie schließlich wieder zu Boden fielen. Mir wurde heiß und kalt, und dann überkam mich nach all der Anstrengung ein Gefühl von Frieden. Nach einer Minute Pause versuchte ich es erneut. Ich richtete meinen Blick und all meine Kraft auf diese Schlüssel und verdrängte wieder alle anderen Gedanken, bis ich auf einmal hörte, wie die Tür aufging. Ich stieß ein erschrockenes Keuchen aus. Als mein Kopf herumfuhr, flogen mit einem Mal Schlüssel, Ball und Hantel durch die Luft und prallten an den gefederten Wänden ab.
»Hoppla!«, rief Connor und hielt sich schützend die Arme vors Gesicht. »Und deshalb auch die Polsterung.« Lächelnd schüttelte er den Kopf.
Ich schnappte immer noch keuchend nach Luft. »Tut mir leid«, murmelte ich. »Oder, ich meine, war ich das etwa?«
»Allerdings, und Entschuldigung angenommen. Weiter so«, lobte er. »Deine Mitbewohnerin und Lance haben sich Sorgen gemacht, weil sie nicht wussten, wo du steckst. Ich sag ihnen Bescheid, dass wir die Suche abblasen können.«
»Danke«, hauchte ich. Jetzt war meine Stimme völlig tonlos.
»Oder, weißt du, vielleicht könnten wir sie auch noch ein wenig im Ungewissen lassen«, meinte er und zwinkerte mir auf dem Weg nach draußen zu. Ich blieb im Übungsraum, bis es an der Zeit war, mich mit Dante auf den Weg zur Tafel zu machen. Als ich meinen Kumpel in seinem Zimmer abholen wollte, begegnete ich Sabine, die im rosa Bademantel auf dem Weg zur Dusche war.
»Haven!«, rief sie so fröhlich, wie man nur sein konnte. Sie fasste mich am Ärmel und verkündete: »Ich hab das Gefühl, dass du irgendwie sauer auf mich bist.« Bei ihrer übertriebenen Schnute bekam ich direkt ein schlechtes Gewissen.
»Nein, wieso denn?«, fragte ich. Ich klang allerdings selbst in meinen eigenen Ohren unglaubwürdig.
»Wir müssen wirklich mal einen Frauenabend einlegen. Hättest du heute Zeit? Bitte, bitte?«
Ich seufzte innerlich. »Ich bin doch fürs Sorgentelefon eingeteilt.«
Sie ließ aber nicht locker. »Dann morgen! Abgemacht, okay?«
»Sicher«, erwiderte ich und gab mir nicht die Mühe, mein Desinteresse zu verbergen.
»Perfekt. Wir werden auf jeden Fall Spaß haben!«, versprach sie und schwebte dann wieder den Flur entlang. Ich wartete ab, bis sie im Badezimmer verschwunden war, bevor ich bei Dante anklopfte.
»Fertig?« Dante machte die Tür auf. Hinter ihm holte Lance gerade sein Lieblingsshirt von den Cubs hervor und bereitete sich auf einen weiteren Tag beim Hausbau vor.
»Morgen!«, grüßte er und zupfte den Ärmel über seinem Bizeps zurecht. Irgendwie fühlte es sich an, als wäre er so weit weg. Ich musste die ganze Zeit daran denken, wie gestern Sabine hier gelegen hatte, während er in seinem Bett geschlummert hatte. »Macht ihr euch schon auf den Weg?«
Ich nickte und versuchte zu lächeln, so als wäre alles in Ordnung.
»Dann sehen wir uns heute Abend bei der Hotline?«, fragte er. Wir würden später die Telefone in der Bibliothek besetzen. Obwohl ich ja eigentlich das Gefühl hatte, dass ich mich selber gern mal bei irgendwem ausheulen würde. Wieder nickte ich. Sein Blick verfinsterte sich. Dante sah dem Gespräch schweigend zu.
»Aber klar!« Ich versuchte verzweifelt, fröhlich zu klingen. »Dann bis nachher!«
»Ja, das Essen verteilt sich nämlich nicht von selbst!«, warf Dante ein, schob mich nach draußen und machte die Tür zu. Sobald wir uns ein paar Schritte entfernt hatten, drehte er sich zu mir um. »Ich hasse es, wenn Mama und Papa sich streiten.«
Ich rollte nur mit den Augen. »Aber ich darf doch wohl, ich weiß auch nicht, ein bisschen durcheinander sein, oder?«
»Na klar, absolut. Aber ich denke immer noch, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst«, erklärte er, hakte sich bei mir unter und trat mit mir in die kühle Morgenluft hinaus.
Beim Gedanken an das Sorgentelefon hatte ich den ganzen Tag Bauchschmerzen gehabt, und das war nun wirklich kein gutes Zeichen. Lance stürmte um kurz nach fünf zur Tür herein, drückte mir einen Kuss auf den Scheitel und ließ sich dann neben mir nieder.
»Echt Wahnsinn, wir haben in der letzten Woche fünf Häuser gebaut«, erzählte er mit einem Funkeln in den Augen. Die Telefone schwiegen fast die ganze Zeit, es meldete sich nur eine namenlose Anruferin auf der Suche nach Bestätigung: »Ist die
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