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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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hasst sein Leben, er träumt vom Reichtum, er glaubt, andere enthielten ihm den Wohlstand vor, der ihm zusteht, und er müsse sich das Seine mit Gewalt holen. Er hat nie verstanden, dass er sich selbst bewegen muss, wenn er ein anderes Leben haben möchte. Er fand, das Glück müsse zu ihm kommen. Daraus entstand der große Konflikt mit Clara, als die Deutsche in unsere Gegend kam und anfing, unsere Kinder zu unterrichten. Susanne kleidete sich wie die Frauen von uns, sie sprach unsere Sprache, sie besuchte uns in unseren Häusern in den Bergen, sie redete auf die Eltern ein, ihre Töchter in richtige Schulen zu schicken. Vor allem Clara hatte es ihr angetan. Sie erklärte uns, Clara sei zu intelligent, um ihr Leben lang Pullover zu stricken. Aber Tano wollte nicht, dass Clara zu den Weißen geht und lebt und denkt wie die Weißen. Dabei denkt er selbst wie ein Weißer. Er glaubt, es müssten die alten Männer sein, die bestimmen, weil sie das Land mit ihrem Blut verteidigen. Doch als vor vierhundert Jahren die ersten Spanier ins Land kamen, geführt von Pedro de Añazco, und als dieser einen Mann aus unserem Volk tötete, der sich nicht vor ihm hatte verbeugen wollen, da war es eine Frau, die ihn rächte. Die Mutter des Mannes wurde zur Kriegerin und führte mit Waffen in der Hand den Widerstand gegen die Spanier an. Man nannte sie La Gaitana. Sie nahm Pedro de Añazco gefangen, stach ihm die Augen aus und tötete ihn.«
    Ich nickte. Ich kannte die Geschichte. Aber ich hatte längst gelernt, dass man sich an den Herdfeuern der Indígenas immer wieder dieselben Geschichten erzählte. Es beruhigte, es erklärte einem die eigenen Gefühle, es half, dass man sich nicht alleine fühlte.
    »Man sagt, unsere Gesellschaften seien reine Männergesellschaften, die Frauen seien zu einem Leben am Herd verurteilt. Aber das stimmt nicht. Seit einigen Jahren hat jede Ortschaft zehn Wächter, die nur mit dem traditionellen Stab bewaffnet sind und sich über Walkie-Talkie miteinander verständigen können. Viele dieser Wächter sind Frauen. Wenn die Guerilleros einen jungen Mann mitnehmen, dann ziehen sie los und fordern ihn zurück. Wir Nasas haben stets Widerstand geleistet, doch am erfolgreichsten waren wir immer dann, wenn wir dabei nicht die Waffen erhoben haben. Vor hundert Jahren hat Manuel Quintin Lame, ein Knecht der Großgrundbesitzer, den Widerstand angeführt, den wir La Quintinada nennen. Er hat nicht geschossen, die Bauern haben nur massenhaft das Land besetzt. Und so haben wir Nasas unsere alten Ländereien im Cauca wieder unter unsere Kontrolle gebracht. Aber Tano ist ein Verlorener, er glaubt nicht an die Macht der Gewaltlosigkeit. Es ist auch sehr schwierig, daran zu glauben, wenn unsere Bischöfe und Politiker ermordet werden und niemand dafür zur Verantwortung gezogen wird.«
    »Und was war nun mit Susanne Schuster?«, fragte ich, obwohl ich wusste, dass ich den Fluss von Juanitas Erzählung nicht stören durfte. Wenn die Alten redeten, hörte man zu. Und jede Geschichte hatte ihre genaue Zeit.
    Juanita lächelte. »Du bist wirklich arg ungeduldig.«
    »Tut mir leid.«
    »Nun ja, als dann die Deutsche zu uns kam und verlangte, dass Tano den Kindern seiner toten Schwägerin eine gute Schulbildung erlaubte, da schickte er nicht Clara nach Popayán auf die höhere Schule, sondern Damián. Denn Damián war in Yat Pacyte nicht viel nütze. Clara dagegen strickte die kunstvollsten Pullover. Das war ihr Pech. Und es war Damiáns Glück, denn in Popayán kam er mit den Leuten des CRIC in Kontakt und lernte, dass wir noch eine ganz andere Tradition haben als Tanos Krieg, nämlich den Frieden. Er spürte, dass sich sein Innerstes für den Frieden mehr erhitzte als für den Krieg, er glaubte, dass seine Kraft größer und mächtiger wäre, wenn er sie für den Frieden einsetzte. Er sprach mit mir darüber. Ich hatte lange auf diesen Moment gewartet und schon befürchtet, er werde nie kommen. Ich erzählte ihm von seiner Begegnung mit der Bärin und ihren Jungtieren und er erinnerte sich wieder daran. Ich erklärte ihm, dass in unseren Legenden die Bärenmenschen Friedensstifter sind, denn der Bär besitzt in seinen Kiefern und Krallen eine tödliche Kraft. Er kann Äste durchbeißen, die dicker sind als dein Arm, er kann das Rückgrat eines Tapirs brechen. Dennoch greift er niemals an. So sehr liebt er das friedliche Leben, dass er beschlossen hat, nur vom Honig in den Ananasblüten, von Wurzeln und Beeren zu leben und von

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