Der Ruf des Kookaburra
leben.
Nicht wenn sie sich die letzten Reste ihrer Identität als Weiße bewahren wollte.
Denn obwohl sie die Schwarzen liebte und ihre Lebensweise respektierte, so würde sie, Emma, doch nie eine Schwarze sein. Sie war nicht bereit, alle Brücken hinter sich abzubrechen und der Zivilisation unwiderruflich den Rücken zu kehren. Eine Zeitlang im Regenwald leben, mit Carl an ihrer Seite – ja, das mit Freuden. Aber für immer? Ohne jede Möglichkeit, in ihre alte Welt zurückzugehen? Das war etwas ganz anderes. Allein die Vorstellung erschreckte sie. Aber das konnte sie Purlimil natürlich nicht sagen.
Also zuckte sie bloß mit den Schultern. »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als Mr Roberts davon zu überzeugen, dass ich mein Geld wert bin. Auch ohne Carl. Ich meine, solange Carl … na ja, bis er …«
»Er kommt nicht zurück«, sagte Purlimil leise. »Niemals. Das weißt du doch. Und es ist meine Schuld.«
Oh nein, nicht wieder diese Leier! Unwirsch sagte Emma: »Hast du es immer noch nicht verstanden, Purlimil? Nichts ist deine Schuld! Außerdem ist Carl sehr wohl am Leben. Das weiß ich!« Sie nickte trotzig zur Bekräftigung. »Meine innere Stimme hat es mir versichert. Als ich mit Mr Roberts zum Lager gegangen bin.«
Purlimil starrte sie an. »Aber Carls Tod ist deine Strafe! Und zugleich war es deine Aufgabe, ihn zu töten, wenn auch keiner von uns versteht, warum. Er kann nicht leben, Emma. Du musst dich irren.«
»Das tue ich nicht!«, beharrte Emma wütend.
»Dein Mann ist tot, davon sind alle hier überzeugt. Auch Birwain und Dayindi, und sie sind die Ältesten. Sie müssen es wissen! Wenn das, was du innere Stimme nennst, dir Hoffnung macht, dann nur, um dich noch ein wenig länger zu quälen. Denn solange du hoffst, kannst du die Trauer nicht überwinden. Außerdem kannst du nicht tun, was getan werden muss: Carls Habseligkeiten verbrennen. Seine Lagerstätte mit einem Rauchritual reinigen. Das Zelt an eine andere Stelle verlegen, damit wir alle und du selbst diesen Ort in Zukunft meiden können. So will es unser Gesetz, Emma. Das weißt du doch mittlerweile. Eigentlich dürften wir nicht einmal mehr über deinen Mann sprechen. Wir tun es nur, weil du darauf bestehst, dass er lebt.«
Das ist alles nicht wahr!, schrie es in Emmas Herz.
Aber was wusste ihr Herz schon von den Strafen der Ahnen?
»Carl ist nicht tot«, wiederholte sie betont ruhig, um ihre aufkommende Panik in Schach zu halten. »Nichts muss verbrannt oder gereinigt werden, und wir müssen seinen Namen auch nicht meiden oder gar aufhören, von ihm zu sprechen. Sag so etwas bitte nie wieder, Purlimil.«
»Du musst mich wirklich verabscheuen«, fuhr die Freundin bitter fort, als hätte sie Emma gar nicht gehört. »Meinetwegen wurde dir dein Mann genommen, und jetzt verlierst du vielleicht noch deine Arbeit. Ich weiß ja nicht genau, was du tust, wenn du uns beobachtest und schreibst, aber ich weiß, dass es deine Leidenschaft ist. Und ich bin schuld, ich ganz allein, dass all dies bald vorbei sein wird. Dann nimmst du Belle mit, ihr geht fort und werdet in der Stadt im Elend leben.«
In diesem Moment wurde es Emma zu viel. »Purlimil, hör doch endlich mit den Selbstvorwürfen auf! Denkst du, das macht irgendetwas besser?« Ihr ganzer Jammer brach sich Bahn. »Ich weiß nicht, warum Carl weg ist und ob er wiederkommt, ich weiß nicht, ob er lebt, ob meine Hoffnung berechtigt ist, ob es eure Geister gibt und diese grässlichen Ahnen oder ob ich einfach verrückt werde, wenn ich Stimmen höre, ich weiß nicht, wie Mr Roberts sich entscheidet und wovon ich in Zukunft leben soll, was mit Belle wird, wie Carl mich finden soll, wenn ich den Clan verlasse …« Zitternd brach sie ab und vergrub das Gesicht in ihren Händen.
»Es tut mir so leid«, hörte sie Purlimil mit tränenerstickter Stimme sagen. »Ich verstehe, dass du mich jetzt hasst.«
Nichts, gar nichts hast du begriffen, dachte Emma. Verzweifelt hob sie den Kopf. »Ich hasse dich nicht. Wenn du mir nur endlich glauben würdest!«
Purlimil sah Emma tieftraurig an.
»Aber ich selbst hasse mich, Emma. Schließlich habe ich allen Grund dazu.«
Dann verlor ihr Blick sich ins Leere.
In diesem Moment begriff Emma, dass Carls Verschwinden Purlimil nicht nur Schuldgefühle beschert hatte. Über Schuldgefühle konnte man reden. Man konnte sie anerkennen, überwinden und früher oder später seine Lebensfreude wiederfinden.
Purlimil jedoch schien gefangen zu sein in
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