Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
Kopf und zog seine Frau an sich.
Es war früher Nachmittag, als sie endlich zu Hause eintrafen. Chad überprüfte jedes Zimmer. Alles schien in Ordnung zu sein. Er ließ Myra in Meghalis Obhut auf dem Sofa im Wohnzimmer zurück und ging ins Badezimmer. Dort versorgte er notdürftig seine Schusswunde. Schweiß stand ihm auf der Stirn, denn die Wunde tat höllisch weh. Es war ein glatter Durchschuss, aber einen Arzt würde er nur aufsuchen, falls sich Komplikationen einstellten. Chad nahm ein paar Schmerztabletten und legte eine Kompresse mit Kräutern auf, die er vor einiger Zeit von Heather bekommen hatte. Mit etwas Ruhe würde es ihm bald besser gehen. Ruhe … Aber wie sollte das gehen? Er zwang sich, nicht an Emma zu denken. Er musste stark bleiben, er durfte der Angst in seinem Herzen nicht nachgeben, nur so konnte er Emma eine Hilfe sein.
Als er ins Wohnzimmer zurückging, um Heather anzurufen, klingelte das Telefon. Er sah, wie Myra nach dem Hörer griff.
»Warte! Lass mich das machen.« Vielleicht war es Morris …
»Hallo?«, sagte er mit heiserer Stimme und schaltete den Lautsprecher ein.
Myra und Meghali blickten ihn gespannt an.
»Ich glaube, du erinnerst dich an mich«, ertönte Morris’ kalte Stimme aus dem Lautsprecher.
»Wo ist unsere Tochter?«
»Ich stelle hier die Fragen!«, fuhr Morris auf.
Myra zuckte unwillkürlich zusammen.
»Sag deiner Frau, dass sie den Talisman finden soll, und zwar ein bisschen schnell! Meine Geduld ist am Ende, und meine Zeit ist knapp. Sag ihr, sie soll den Talisman finden, sonst passiert was mit eurer Tochter!«
»Und wie soll sie das tun?«, rief Chad aufgebracht
ins Telefon. »Sie weiß noch nicht einmal, worum es geht!«
»Sie hat Talent«, erwiderte Morris. »Sag ihr, sie soll ihr Gehirn ein bisschen anstrengen.«
Myra geriet in Panik. Meghali zog sie enger an sich, um sie zu beruhigen.
»Keine Tricks, keine Polizei. Ich verfolge jeden eurer Schritte. Beeilt euch! Es wäre doch schade, wenn ich eine zarte Schönheit wie eure Tochter an meine rauen Freunde übergeben müsste … Und Meghali – von dir hätte ich mehr Loyalität erwartet.«
Es klickte, und die Verbindung war unterbrochen.
Meghalis Augen weiteten sich. Wie hatte Morris von ihrer Begegnung mit Chad und Myra erfahren?
»Er wird ihr weh tun … Er wird sie umbringen …«, sagte Myra immer und immer wieder. Sie hatte einen Schock. Schließlich brach sie in Chads Armen zusammen.
Ein sonderbares Gefühl strömte durch ihren Körper, und ihr Herz schien auf einmal weniger stark zu schmerzen. Dann überkam sie ein seltsames Ziehen …
K APITEL 15
Umweg
E in lauter Ruf riss Runa aus dem Schlaf.
»Runa!« Erdis’ Stimme erreichte sie wie aus weiter Ferne. Sie blickte sich um. Es war dunkel. Feuer brannten, und Menschen liefen schreiend umher. Dann war der Wechsel vollzogen, und Runa wusste, wo sie sich befand und was um sie herum geschah: Das Nomadenlager, in dem sie die Nacht verbrachten, wurde angegriffen!
Neben ihr fielen Männer leblos zu Boden. Rauch lag in der Luft und brannte in ihren Augen. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte.
»Komm!«, schrie Erdis, die langen roten Haare offen und wirr, und zog an ihrem Arm. »Wir müssen fort von hier!«
»Wo ist Timaq?«, wollte Runa wissen. »Der alte Schamane hat doch geschworen, dass er uns beschützt!«
»Ich kann ihn nirgendwo entdecken!«, rief Erdis. »Wir sind auf uns allein gestellt! Komm! Schnell!«
Runa wollte nach einer Waffe greifen, aber Erdis hielt sie zurück. »Vergiss deine Aufgabe nicht! Du hast eine Botschaft zu überbringen und den Talisman zu schützen. Du musst dich in Sicherheit bringen!«
Die beiden Frauen bahnten sich einen Weg durch das heillose Durcheinander. Es war unmöglich zu sagen, welches die Angreifer waren und welches die Bewohner des Lagers. Es war zu dunkel, und die Frauen waren erst am Abend zuvor im Lager angekommen, so dass sie noch nicht alle Bewohner kennengelernt hatten. Sie konnten niemanden um Hilfe bitten. Und es war zu gefährlich, Zeit zu vergeuden und Timaq zu suchen.
Sie flohen zum Rand des Lagers, weil sie hofften, irgendwo dort ein Versteck zu finden.
Plötzlich wurden sie von zwei Männern grob an den Schultern gepackt und zu Boden geworfen. Die Männer wechselten ein paar Worte in einer Sprache, die Runa und Erdis nicht verstanden, und lachten höhnisch.
Runa versuchte, den Männern in Zeichensprache verständlich zu machen, dass sie Botschafter
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