Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
war, im warmen Sonnenlicht badete.
Runa spürte, wie die Strahlen der Sonne immer tiefer und tiefer in sie eindrangen. Das Bild vor ihren Augen verschwamm, und ein seltsames Ziehen erfasste ihren Körper.
K APITEL 22
Plan
M yras Kopf schmerzte und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Beinahe hilfesuchend griff ihre Hand nach dem feinen silbernen Rabenanhänger an der Kette, die Chad ihr zu ihrer Hochzeit geschenkt hatte. Sie musste irgendwo Halt finden.
Chad ging wie ein gefangenes Tier im Käfig ruhelos im Zimmer auf und ab.
Meghali saß in dem großen ledernen Sessel, der gegenüber der Couch stand, und grübelte vor sich hin.
Das Klingeln des Telefons schrillte durch die Stille.
Chad war sofort am Apparat und schaltete den Lautsprecher ein.
»Hallo?«
»Morris hier«, drang eine kalte Stimme durch das gemütliche Wohnzimmer. »Das dauert mir zu lange.«
»Meine Frau tut, was sie kann«, versuchte Chad zu erklären, »aber sie ist mit ihren Nerven am Ende.«
»Das ist ihr Problem«, zischte Morris.
»Ich weiß nicht, wie lange sie noch durchhält«, warf Chad verzweifelt ein. »Wir brauchen mehr Zeit.«
»Ihr tut, was ich verlange, und zwar sofort!«, donnerte Morris. »Oder Emma wird sich wünschen, lieber tot zu sein!«
»Lass meine Frau wenigstens kurz mit Emma sprechen«, flehte Chad.
Morris hörte nicht auf seine Bitte.
»Morgen, selbe Zeit. Meine Geduld ist am Ende!«
Ein langer Summton folgte. Morris hatte aufgelegt.
Chad legte das Telefon zurück auf den Tisch und drehte sich unbehaglich zu den beiden Frauen um. Wie würde Myra reagieren?
Aber sie kam nicht dazu, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Meghali kam ihr zuvor.
»Es gibt etwas, das wir noch nicht versucht haben«, warf sie entschlossen ein.
Chad sah sie überrascht an.
»Ich bin fest davon überzeugt, dass die Annahmen, die wir in Squalath aufgestellt haben, richtig sind. Myra kann sich in der jetzigen Situation einfach nur nicht genug konzentrieren, um sich zu erinnern . Und Heather, so habt ihr mir erklärt, wird uns nicht weiterhelfen können, weil ihr Erinnerungsvermögen stark nachgelassen hat. Wenn wir nun aber die Ältesten deines Volkes aufsuchten, Chad, und sie um Hilfe bitten würden?« Ihre dunklen Augen blickten Chad gespannt an.
Chad zögerte.
»Heather ist diejenige, die sich mit den alten Geschichten am besten auskennt. Ich bezweifle, dass die anderen uns helfen können.«
»Vielleicht nicht mit ihrem Wissen über diese bestimmte Legende«, führte Meghali ihren Gedanken weiter. »Aber vielleicht mit einer Zeremonie, die Myra hilft, wieder zu sich selbst zu finden. Und dann …«
»Und dann wird sie sich vielleicht an das erinnern, was wir wissen müssen, um den Talisman zu finden und um Emma zu retten«, flüsterte Chad. Er sah Myra aufgeregt an.
»Was meinst du dazu?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich glaube nicht, dass es uns viel helfen wird«, meinte sie zweifelnd.
»Wir müssen irgendetwas tun«, stellte Chad fest. »Wir können nicht nur hier herumsitzen und warten, bis Morris uns morgen wieder anruft.«
»Du hast recht«, meinte Myra schließlich und gab sich geschlagen. »In Ordnung. Lass uns zu den Ältesten gehen.«
Eine knappe Stunde später – es war früher Nachmittag – erreichten sie das Haus von Joseph Rock Horse, einem der Ältesten, den Chad schon seit seiner Jugendzeit gut kannte.
»Ich hoffe, er wohnt noch immer hier«, meinte er und stieg aus dem Auto. »Ihr wartet besser einen Augenblick im Wagen.«
Myra und Meghali beobachteten, wie Chad die Veranda des kleinen weißen Hauses betrat und an die Tür klopfte. Kurz darauf öffnete eine alte Frau die Tür. Ihr Gesicht war von Runzeln übersät. Sie begrüßte Chad herzlich und lächelte ihn an.
Myra wusste, dass das Reservat der Elk Creek First Nation sehr groß war. Die meisten Bewohner lebten in einer der kleinen Siedlungen, die über das Reservat verstreut lagen. Joseph Rock Horse dagegen wohnte abseits der Siedlungen, und Chad hatte angestrengt nachdenken müssen, um sich an den Weg zu seinem Haus zu erinnern. Myra war überrascht gewesen, dass er ihn auf Anhieb gefunden hatte, denn die schmalen Wege, die sich außerhalb der Siedlungen durch das Reservat zogen, sahen auf den ersten Blick alle gleich aus, und alle zogen sich durch die majestätischen Wälder und Berge, die Myra so liebte. Heute aber empfand sie keine Freude über ihre Schönheit. Alle ihre Gedanken waren bei Emma.
Meghali saß schweigend neben ihr,
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