Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
mit Zedernholz verkleidet und gerade groß genug, um den ungefähr fünfzig anwesenden Ältesten Platz zu bieten. Sie saßen an langen hölzernen Tischen und aßen gerade ihren Nachtisch.
»Ich habe mit Joseph gesprochen«, sagte Chad leise. »Er hat zugestimmt, dass ich den Ältesten unser Anliegen vortrage. Jetzt müssen wir abwarten.«
Joseph Rock Horse, ein alter Mann von vielleicht achtzig Jahren mit intelligenten wachen Augen und langem weißen Haar, das er zu einem Zopf geflochten hatte, stellte Chad, Myra und Meghali vor und bat die Anwesenden um ihre Aufmerksamkeit. Dann übergab er das Wort an Chad.
Chad versuchte, den Ältesten in aller Kürze die Einzelheiten zu erläutern, denn er wollte ihnen nicht zu viel von ihrer Zeit stehlen.
Myra war in Gedanken wieder bei Emma und bekam nur die letzten Worte seiner Rede mit.
»… Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass es sich bei dem Talisman um ein mystisches, kraftvolles und heiliges Objekt handelt. Und wir wollen ihn nicht für unsere eigenen Zwecke finden, sondern nur, um unserer entführten Tochter zu helfen. Der Entführer denkt, warum auch immer, dass meine Frau weiß, wo der Talisman zu finden ist.«
Chad nickte Joseph Rock Horse zu. Er hatte zu Ende gesprochen.
Joseph Rock Horse bedankte sich für Chads Vertrauen und wandte sich an die Anwesenden.
»Wenn irgendjemand von euch eine Idee hat, wie wir Chad Blue Knife und seiner Familie helfen können, oder wenn irgendjemand sich an Einzelheiten erinnert, die ihnen weiterhelfen könnten, den Talisman zu finden und ihre Tochter zurückzubekommen, dann wendet euch bitte direkt an sie. Sie werden noch eine Weile hierbleiben.« Dann forderte er die Ältesten auf, ein Gebet für die Familie Blue Knife zu sprechen.
Nachdem das Gebet beendet war, bedeutete Joseph Rock Horse Chad, Myra und Meghali, sich an einen der Tische zu setzen und den Nachtisch mit ihnen zu teilen.
Wieder fühlte Myra, wie Unruhe in ihr aufstieg, und sie hatte Mühe, stillzusitzen. Wie konnte sie hier ruhig warten und mit den Ältesten sprechen, während Emma in der Gewalt von diesem Morris war? Wie hatten sie erwarten können, dass die Ältesten ihnen helfen konnten? Ihre Kopfschmerzen wurden wieder stärker. Nervös knetete sie die Hände im Schoß.
Neben ihr sprach Chad jetzt mit einer alten Dame, die sich zu ihm gesetzt hatte. Sie war eine kleine Frau mit langem weißen Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und mit einem freundlichen Gesicht, das mit zahllosen Falten durchzogen war. Sie trug eine Bluse mit auffallend großem Blumenmuster.
»Bist du nicht Heather Blue Knifes Großneffe?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Richtig«, entgegnete Chad. »Leider erinnere ich mich nicht an Sie …«
»Heather kennt die alten Geschichten am besten von uns allen. Ihr solltet mit ihr sprechen«, sagte die alte Dame.
»Das wissen wir«, erwiderte Chad gutmütig. »Aber Heathers Erinnerungsvermögen hat in der letzten Zeit leider stark nachgelassen, so dass ihr viele Einzelheiten nicht mehr einfallen.«
Die alte Dame schüttelte traurig den Kopf.
»Irgendwann erreicht jeden von uns die Welle der Zeit.«
Sie musterte Myra.
»Vielleicht solltet ihr um eine besondere Zeremonie bitten«, schlug sie schließlich vor.
»Das war eigentlich unsere Absicht …«, begann Chad.
»Um eine Zeremonie, die deiner Frau hilft, den richtigen Weg zu finden«, fuhr die alte Dame unbeirrt fort. »Schließlich ist der Talisman, von dem ihr sprecht, den alten Legenden zufolge sehr mächtig. Er darf nicht in die falschen Hände geraten. Und wenn ich es richtig verstehe, sind sehr schlechte Männer hinter ihm her …«
»Es geht um unsere Tochter …«, warf Chad vorsichtig ein.
»Es ist ein großes Opfer, das verstehe ich. Aber ihr müsst euch darüber klar sein, was wichtiger ist: eure Tochter oder die ganze Welt.«
Myra starrte die alte Dame fassungslos an.
Meghali drückte Myras Hand.
Chad warf Myra einen besorgten Blick zu, dann wandte er sich wieder an die alte Dame: »Wir hatten eigentlich auf eine Zeremonie gehofft, die uns helfen würde, sowohl den Talisman zu finden als auch unsere Tochter zu retten.«
Noch bevor die alte Dame antworten konnte, brach es aus Myra heraus: »Wie können Sie so etwas sagen! Sie haben wohl keine eigenen Kinder!« Aufgebracht stand sie von ihrem Stuhl auf und setzte, so ruhig es ihr möglich war, hinzu: »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss das Leben meiner Tochter
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