Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
dichter auf den Fersen ist, als uns lieb sein kann.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Meghali besorgt.
»Wir können nur warten«, erwiderte Chad. »Wir können Myra nicht im Stich lassen. Sie weiß nicht, dass Morris möglicherweise ganz in der Nähe ist. Wir müssen hier sein, um sie zu warnen.«
K APITEL 24
Vergleich
R unas grüne Augen blickten auf das unendliche Blau des Meeres. Sie stand auf einem großen Floß aus Holz, das von acht starken Männern mit tiefschwarzem Haar und glänzender bronzefarbener Haut gesteuert wurde. Die Sonne schien warm und freundlich auf sie herab, und die leichten Wellen des Meeres wiegten das Floß wie eine Mutter ihr Kind.
Der warme Wind blies Runa sachte ins Gesicht. Es erinnerte sie an einen lang vergangenen Augenblick, als sie mit Erdis glücklich am Strand gesessen hatte, beflügelt von dem viel zu voreiligen Gedanken, dass ihre Reise fast vollendet war. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an die treue Freundin dachte und sie schmerzlich vermisste. Ihr Herz, dass wusste sie, würde Erdis niemals vergessen.
Es war mehrere Tage nach ihrem Abschied gewesen, als der Schamane der Reitergruppe, die Runa am Strand getroffen hatte, sie mit den großartigen Seglern bekannt gemacht hatte, mit denen sie nun unterwegs war. Es waren Männer unterschiedlichen Alters, allesamt erfahrene Seefahrer, die das Meer zwischen der Küste, an die Runa und Erdis gelangt waren, und dem Festland auf der gegenüberliegenden Seite mit ihren selbstgebauten Flößen befuhren und Tauschhandel betrieben. Runa hatte ihnen von ihrer Aufgabe erzählt. Glücklicherweise hatte einer der Männer als Junge eine Zeitlang im Haus seiner Tante gelebt, die Schamanin gewesen war. Er hatte die Bedeutung von Runas Reise sofort erkannt und auch wie wichtig es war, dass Runa unversehrt blieb. Auf sein Zureden hatten seine Begleiter gleich zugestimmt, Runa auf die andere Seite des Meeres zu bringen.
Die Männer, die das Floß steuerten, wussten genau um die Winde, die über das Meer wehten, und sie nutzten diese, um vorwärtszugelangen. Sie segelten entlang eines unsichtbaren Kurses von Insel zu Insel. Dort konnten sie ausruhen, vor einem Sturm Schutz finden und ihre Vorräte an Lebensmitteln und frischem Wasser auffüllen.
Anfangs hatte Runa sich auf dem leichten Floß nicht wohl gefühlt. Jetzt aber, nach vielen Wochen auf hoher See, hatte sie sich daran gewöhnt. Auch hatte sie viele Worte in der Sprache der Männer gelernt, und so konnte sie sich mit ihnen verständigen. Auf diese Weise hatte sie erfahren, dass das Floß aus Balsamholz gefertigt war und dass die Männer sich nicht nur der unterschiedlichen Winde bedienten, die über das Meer wehten, um ihr Ziel sicher zu erreichen, sondern dass sie sich auch an den Sternen orientierten. Sie hatten eine unsichtbare Karte im Kopf von allen Inseln, die auf ihrem Weg lagen.
Die Männer hatten ihr auch von dem großen Festland erzählt, das auf der anderen Seite des Meeres auf sie wartete. Die Vorfahren der Männer waren mit ihren Flößen zunächst an der Küste ihres Festlandes auf Fischfang gegangen und waren diese auf und ab gesegelt. Dabei hatten sie sich schließlich immer weiter und weiter von Insel zu Insel vorgewagt, bis sie eines Tages das Festland auf der anderen Seite des Meeres erreicht hatten. Ihr Wissen um Navigation und Seefahrt war unübertroffen. Sie hatten dieses Wissen an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben, und für die Männer, in dessen Begleitung Runa sich nun befand, gab es nicht viele Gegebenheiten auf dem Meer, die sie aus der Fassung bringen konnten.
An diesem Tag aber spürte Runa eine sonderbare Unruhe unter den Männern, obwohl das Wetter schön war und das Meer ruhig. Ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie an den Grund dafür dachte. Am vergangenen Tag waren sie eine kleine Insel angelaufen. Es war eine der Inseln, wo die Männer des Öfteren haltmachten, und bisher hatte es nie Probleme mit den Bewohnern gegeben. Diesmal jedoch hatten die Männer Runa bei sich gehabt, und das hatte alles geändert.
Gleich nach ihrer Ankunft hatte Runa die gierigen Blicke des jungen Häuptlings bemerkt und sich in Acht genommen. Sie hatte nichts getan, um ihn zu ermutigen. Auch die Männer hatten seine Absichten durchschaut und ihm von Runas wichtiger Aufgabe, von ihrer weiten Reise und ihren magischen Fähigkeiten erzählt. Den ganzen Tag über hatten sie Runa nicht aus den Augen gelassen. Vergeblich.
Am Abend hatte der Häuptling ihr
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