Der Sand der Zeit
schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es. Und dann, ganz plötzlich, schüttelte er den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Senkt die Waffen.«
Der Befehl galt den Olmeken, und die Männer gehorchten sofort. Die Erleichterung, nicht gegen Lasses gefürchtete Nordmänner antreten zu müssen, war ihnen deutlich anzusehen.
»Aber ich kann euch auch nicht gehen lassen«, fuhr Setchatuatuan fort.
»Ich traue dir nicht, Leif Erickson. Woher soll ich wissen, ob ihr uns nicht doch verratet?«
»Und was willst du tun?« fragte Erickson. Er lächelte schwach. »Du kannst uns nicht zurückhalten!«
Setchatuatuan überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Wir gehen alle«, sagte er. »Oder keiner. Ich begleite euch. Und ich werde sehr gut auf dich aufpassen.«
»Aber jemand muß hinausgehen«, ereiferte sich Erickson.
»Dieser irrsinnige Angriff muß gestoppt werden, Setchatuatuan!«
»Wenn ich überhaupt ginge«, antwortete Setchatuatuan betont, »so höchstens, um ihn anzuführen, Leif Erickson. Wir werden Aztlan vernichten. Diese Stadt und alles, was in oder unter ihr leben mag.«
»Narr«, sagte Erickson wütend. »Begreifst du immer noch nicht, daß die Wesen, die all dies hier geschaffen haben, nicht mit menschlichen Waffen zu besiegen sind? Diese Stadt ist so alt wie die Welt, Setchatuatuan!«
»Sie wurde erschaffen«, antwortete Setchatuatuan mit einem Achselzucken. »Und was erbaut wurde, kann wieder vernichtet werden.«
Ich trat mit einem schnellen Schritt zwischen den Olmeken und den Wikinger. »Ich fürchte, Leif Erickson hat recht, Setchatuatuan«, sagte ich behutsam. »Ich habe die Macht dieses Wesens gefühlt, als wir gegen Quetzalcoatl kämpften.
Ihr könnt diese Stadt nicht angreifen. Alle, die dir folgen würden, würden sterben.«
»Feiglinge!« zischte Setchatuatuan. »Ist es das? Habt ihr Angst vor dem Tod? Dann geht! Geht und verkriecht euch in irgendeinem Winkel, bis alles vorbei ist. Ich sterbe lieber, ehe ich ein Leben als Sklave führe.«
»Es ist sinnlos«, seufzte Erickson. »Du willst offensichtlich nicht begreifen, Setchatuatuan.«
»Ich begreife nicht, wieso ein Mann wie du plötzlich Angst vor dem Tod hat«, erwiderte Setchatuatuan höhnisch. »Ein Mann, der jahrelang selbst Tod und Verderben über mein Volk gebracht hat, der Tausende mit einer Handbewegung hat ermorden lassen.«
»Ich habe keine Angst«, antwortete Erickson ruhig. »Aber ich will nicht, daß dein Volk ausgelöscht wird, Setchatuatuan.«
Und doch wird genau das geschehen, dachte ich müde. Ich hätte es ihnen sagen können, Setchatuatuan, Erickson und den anderen. Ich hätte ihnen sagen können, daß von dem mächtigen Volk der Olmeken nur eine Handvoll Flüchtlinge übrigbleiben würde, Heimatlose, die weiter nach Süden ziehen und zu den Vorfahren der Mayas und Azteken werden würden. Und daß von Aztlan nur eine Legende, und der Name eines Volkes,
die Zeiten überdauern würde.
Aber ich tat es nicht. Tief in meinem Inneren wußte ich, daß der Lauf der Geschichte nicht verändert werden konnte und daß all meine Anstrengungen vergebens wären.
»Du gehst also nicht?« fragte Erickson.
Setchatuatuan schüttelte den Kopf. »Nicht, um das zu tun, was du verlangst, Leif Erickson«, sagte er. »Und nicht allein.
Wenn ich hinausgehe, dann begleitest du mich. Du und alle anderen.«
Erickson seufzte, aber er widersprach nicht mehr, sondern sagte nur einfach: »Dann kommt.«
Erickson ging voraus, dicht gefolgt von Setchatuatuan, der ihn keinen Moment aus den Augen ließ. Dann kamen Lasse und ich, während Lasses Wikinger die Nachhut bildeten. Die Handvoll Krieger, die Setchatuatuan mitgebracht hatte, drängten sich in der Mitte zusammen. Keiner von ihnen gab auch nur den geringsten Laut von sich, aber ich spürte, wie verängstigt die Männer waren. Sie mußten das Fremde, Feindselige, das diese Wände ausatmeten, so deutlich spüren wie ich, aber sie hatten weder mit dem Leben abgeschlossen wie die beiden Wikinger, noch waren sie besessen von dem Gedanken an Rache wie Setchatuatuan.
Erickson führte uns ein Stück weit geradeaus durch den niedrigen, scheinbar endlosen Stollen, bog aber nach einer Weile in einen Seitengang ab und blieb nach wenigen Schritten vor einer glatten, scheinbar fugenlosen Wand stehen.
»Hier?« fragte Lasse zweifelnd.
Erickson nickte nervös, hob die Hände und tastete mit geschlossenen Augen über den schwarzen Stein. Sekundenlang geschah nichts, dann ertönte ein leises,
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