Der Schaedelschmied
möglich. »Ich will nicht aus dem Nähkästchen plaudern oder wie das klischeebehaftete Weibchen wirken, das daheim vertrocknet, während sein Ehegatte in der weiten Welt Geschäfte macht. Bei Thellw, nein!« Sie glotzte Hippolit, der sich verkrampft an seinem Sherryglas festhielt, aus großen Kuhaugen an. »Dennoch gebe ich zu, dass ich als Gemahlin eines Mannes, der seine Zeit lieber im Büro zubringt als im ehelichen Schlafgemach, dankbar bin für jenen Zweig der zwergischen Feinmechanik, welcher sich der Entwicklung praktischer Hilfsmittel für einsame Damen gewidmet hat. Erst kürzlich habe ich etwas erworben, einen formschönen Apparat, mit welchem …«
Hippolit dankte Lorgon dem Schöpfer, dass er nie erfahren sollte, wofür die übergewichtige Ministergattin in einem fragwürdigen Spezialbedarfsladen das Geld ihres Mannes hingeblättert hatte, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Herr des Hauses trat ein.
Minister Frietrych trug, anders als bei ihrem ersten Zusammentreffen im Schürfministerium, einen bequem geschnittenen Hausanzug aus anthrazitfarbenem Leinen. Seine groteske Topffrisur war dagegen so exakt frisiert wie eh und je.
»Meister Hippolit! Schön, dass Sie es einrichten konnten.« Er schüttelte seinem Gast mit Elan die Hand. Hippolit registrierte beiläufig, dass der Vizeminister den zugehörigen Arm nicht länger in einer Schlinge trug.
»Mit Millie haben Sie sich bereits bekannt gemacht, wie ich sehe? Fein, fein. Dann wollen wir hinübergehen. Nussmuth müsste mittlerweile mit dem Essen so weit sein. Nussmuth!«
Das Essen, bei Kerzenlicht im benachbarten Speisezimmer serviert, entschädigte Hippolit für jede Sekunde, die er in der Gegenwart der redseligen Ministergattin hatte zubringen müssen. Als Vorspeise gab es eine dünne, extrem würzige Suppe, die Nussmuth in einer reich verzierten Silberterrine auftrug. Als er beim Vorlegen einen winzigen Suppenspritzer neben Frau Mildaus Teller kleckerte, nahm der Hausherr ein längliches Gerät zur Hand, das griffbereit neben seinem Stuhl lehnte und in dem Hippolit zunächst ein Hilfsmittel zum Rückenkratzen vermutet hatte. Schnalzend fuhr der mit einer Holzkugel versehene Rohrstock auf Nussmuths Rücken herab.
Den Zwischengang bildete ein Fischfilet, hauchdünn aufgeschnitten und delikat mariniert. Hippolit erkundigte sich verwundert, wie man in einer unterirdischen Stadt an frischen Fisch kam. Frau Mildau, die ihn keine Sekunde aus den Augen ließ, während sie sich immense Mengen der Köstlichkeit einverleibte, erklärte, dass man den Pauth, einen augenlosen, forellenähnlichen Fisch, in einem unterirdischen Flusslauf angele, welcher Barlyn auf Höhe der zwanzigstens bis zweiundzwanzigsten Ebene durchfloss.
Das Hauptgericht, von Nussmuth mit panischer Vorsicht serviert, bestand aus Schweinshaxen mit Knödeln und einem weißen, süßsauren Kraut. Hippolit, eigentlich kein Freund gehaltvoller Speisen, war froh, den bis zu diesem Punkt zwangsweise genossenen Alkohol mit fettreicher Kost kompensieren zu können; umso mehr, als der bemitleidenswerte Diener von seinem Herrn beständig angehalten wurde, den Pegel im Weinglas des Gastes nie unter Maximalstand sinken zu lassen.
Das Schwein war köstlich: außen verbrannt und knusprig, innen nahezu roh und saftig. Die Knödel, ein jeder größer als Hippolits Fäuste, waren schwer und massiv. Zusammen mit der dunkelbraunen Soße, die Nussmuth großzügig über ihren Tellern verteilte, bildeten sie eine Konsistenz, von der Hippolit annahm, dass sie seinen Verdauungstrakt so fugenlos ausfüllen würde wie Mörtel einen Spalt im Mauerwerk. Das Kraut schließlich, üppig mit ausgelassenen Speckwürfeln durchsetzt, war eine Ode an die Würzigkeit; Hippolit wusste nicht, ob der leichte Taumel, den er während der letzten Bissen verspürte, vom Rotwein herrührte oder vom enormen Salzgehalt der Beilage. Was auch immer der Grund war, sein jungenhafter Leib würde sich in den nächsten Stunden einer harten Belastungsprobe ausgesetzt sehen.
Als Frau Mildau sich vorbeugte und ihm zum dritten Mal Nachschlag anbot (wobei ihm ihr klaffendes Dekolleté wie zufällig einen tiefen Blick auf ihre melonengleichen Brüste gewährte), lehnte er freundlich, aber entschieden ab – nicht allein aus Rücksicht auf sein bereits bedenklich eng sitzendes Gewand, sondern vor allem im Hinblick auf die Kommentare, mit denen ihn Jorge in der folgenden Nacht vom Nebenzimmer aus beharken würde, sollte sich
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