Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
einem Bündel aus Gliedmaßen und ledrigen Flügeln zu Boden stürzten. Der dritte musste dem Zusammenprall ausweichen und flog in die Wäscheleinen, wo er abgefangen und von dem Schwung zu Boden geschleudert wurde. Das war die Ablenkung, die Aliana benötigte. Ihre Hand schloss sich um den Türknauf, drehte ihn, und die Tür ließ sich ungehindert öffnen. Sie sprang hinter die Tür, schlug sie zu, rammte den Riegel zum zweiten Mal davor.
Es gab keine Zeit zu verlieren. Gehetzt blickte sie sich um, sah die dunkle Silhouette vor dem Fenster und hörte die Scheibe klirren. Sie wartete nicht ab, ob sie hindurchkämen. In der Küche war es dunkel, aber sie wusste noch, dass rechts die Kellertür offen stand. Im nächsten Augenblick war sie auf der Kellertreppe und verriegelte hinter sich die Tür, was hoffentlich genügen würde. Als sie sich über die Steinstufen in das finstere Loch hinabtastete, hörte sie das Lärmen aus der Küche. Die Scheusale zertrümmerten die Möbel, während sie nach ihr suchten.
Wie jagten sie? Nach Gehör oder Geruch? Wenn sie es nur irgendwie herleiten könnte. Sie traute sich nicht, eine Kerze anzuzünden, damit nur ja kein Lichtstreifen unter der Kellertür hindurchscheinen und sie verraten würde. Sie hatte bereits einen tödlichen Fehler begangen. Die Räuber waren in der Dämmerung gekommen und sie hatte einfach angenommen, dass sie bei Tage jagten. Wie hätte sie wissen können, dass es Nachttiere waren?
Nun ist es passiert. Ich werde bis zum Morgen hier bleiben müssen – sofern ich ihn noch erlebe.
Auf einmal glaubte sie, es an der Kellertür schnüffeln und kratzen zu hören. Ihr standen die Haare zu Berge. Ihre Gedanken rasten.
Sie haben mich gefunden! Was soll ich tun? Wo kann ich mich verbergen?
Da sie entdeckt war, hatte es keinen Sinn, noch länger im Dunkeln herumzutasten. Mit zitternden Händen suchte sie in ihren Taschen nach dem Kerzenstummel, den sie immer bei sich trug. Wertvolle Zeit verstrich, während sie versuchte einen Funken zu schlagen. Endlich brannte der Docht. Schon polterten heftige Schläge gegen die Tür, die in den Angeln rappelte.
Aliana blickte sich gehetzt in dem Keller um. Sie erinnerte sich, dass im ersten Raum die Kohlen und das Holz gelagert wurden, hinter dem Durchgang am anderen Ende befand sich der Weinkeller und ein Vorratsraum, dahinter rührte nur noch eine Treppe in die Familiengruft, wo die Gräber in den Fels gehauen und mit Steinplatten verschlossen waren. Zu spät dämmerte ihr, dass sie ihr Heil in einer Sackgasse gesucht hatte.
Sie rannte tiefer in den Keller, das heiße Wachs lief ihr über die Finger. Das Hämmern an der Tür wurde lauter. Ein Blick zurück zeigte ihr, dass die robusten Latten unter den Schlägen zitterten und nachgaben. Dann zerbrachen sie unter einem gewaltigen Stoß, und die Biester waren mit ihr im selben Raum.
Während sie im Geiste zählte, wie viele sie gesehen hatte, floh sie in den Vorratsraum. Die nackte Angst trieb sie dazu, wenngleich die Flucht aussichtslos war. Sie trug kein Schwert – in ihrer Branche war wenig Verwendung dafür –, aber sie hatte einen langen Dolch am Gürtel und Wurfmesser in Armscheiden. Im Laufen zog sie den Dolch. Sie würde die letzten Augenblicke ihres Lebens nur hinauszögern können, aber wenn sie am Ende umzingelt war, würde sie wenigstens kämpfend sterben.
Diese Tür hatte kein Schloss. Es schoss ihr durch den Kopf, sie mit Kisten und Fässern zu blockieren, aber unmöglich, dazu blieb keine Zeit. Sie drängten schon in den Durchgang, rot leuchteten ihre gierigen Augen im Kerzenlicht, die gezackten Fangzähne gebleckt, die Krallen ausgefahren, bereit, sie zu packen und zu zerreißen. Der Vorderste sprang auf sie zu und schlug nach ihrem Arm. Sie hörte den Stoff reißen, spürte die Krallen im Fleisch. Mit einem wilden Hieb zog sie den Dolch durch das schwarze Gesicht. Die Kreatur fuhr kreischend zurück, hielt sich die Klauen vor die Augen. Die anderen fielen über den Blutenden her, ihr Knurren mischte sich grauenvoll mit den Schreien des Opfers. Der Gestank von Blut und Kot verbreitete sich, während sie ihm große Stücke Fleisch herausrissen und im Ganzen verschlangen.
Aliana achtete nicht auf den schmerzenden Arm und das tropfende Blut und schlich langsam von ihnen fort, in der steten Angst, eine hastige Bewegung könnte sie wieder auf sie aufmerksam machen. Endlich kam sie bei den obersten Stufen an, wo es in die Gruft hinunterging. Wenn sie sich dort
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