Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Veldan die Treppe hinunter, und Kalt schloss sich in sein Zimmer ein.
Bis sie unten in ihrem Schlafzimmer ankam, wo Kaz sich in seinem Lager am Feuer eingerollt hatte, schalt sie sich bereits, nicht so albern zu sein. »Das war der seltsamste Abend meines Lebens«, sagte sie zu Kaz, während sie auf dem Weg zum Kamin eine Kleiderspur hinterließ.
Der Feuerdrache öffnete ein Auge. »Mach dir nichts draus, Schätzchen. Ich werde schon auf dich aufpassen.«
Weil sie dringend getröstet werden musste, zog Veldan die Decken aus ihrem Bett und brachte sie in sein Lager, wo sie sich mit dem Feuerdrachen zusammen einrollte. »Wie gut, dass ich dich habe«, murmelte sie. »Wenn man auf der einen Seite unerwartete Schmeicheleien von fremden jungen Männern erhält und auf der anderen verschollene Väter aus dem Nichts auftauchen, braucht ein Mädchen einen, auf den es sich verlassen kann.«
Toulac war bis spät in die Nacht aufgeblieben, hatte mit Harral im Stall geplaudert, aber hauptsächlich war sie bei Mazal gewesen. Scall hatte sie schon früher zurückgeschickt und ihm eine Nachricht an Ailie mitgegeben, des Inhalts, dass seine Abwesenheit ihre Schuld sei. Und als sie sich endlich zum Gasthaus schleppte, war sie so müde, dass sie die Schelte der Gastwirtin gar nicht wahrnahm und auch nicht, dass die junge Frau eigens aus dem Bett musste, um ihr die Tür zu öffnen. Das Einzige, was sie wichtig fand, war die Frage, ob Ailie ein anderes Zimmer für Scall gefunden hatte und sie ihr Bett für sich haben würde. Die Anstrengungen der vergangenen Tage hatten sie schließlich eingeholt, und sie hatte kaum die Stiefel ausgezogen, da lag sie schon unter den Decken und sank in tiefsten Schlaf.
Am nächsten Morgen schlief sie lange – und hätte noch sehr viel länger geschlafen, wäre sie nicht von einem stürmischen Klopfen an der Tür geweckt worden. Sie rollte sich herum und öffnete ein trübes Auge. »Verzieh dich, wer immer du bist.«
Das Klopfen setzte von neuem ein. »Toulac, Toulac! Du musst mir helfen!« Schon wieder Scall. Die Söldnerin stöhnte und stemmte sich fluchend aus dem Bett. Sie ging zur Tür und riss sie auf. »Was ist denn nun schon wieder los?«
Der Junge trat von einem Bein aufs andere und rang die Hände. »Bitte, Toulac«, platzte er heraus, »kannst du mit mir kommen? Der Anführer will mich sehen – der Arch… der Archi… so was wie der Hierarch jedenfalls, und -«
»Und du hast Angst«, ergänzte Toulac rundweg, die noch nicht wach genug war, um taktvoll zu sein.
Scall lief rot an. »Hab ich nicht!«, schrie er. »Ach, was kann man mit dir schon anfangen? Du bist nichts weiter als eine dumme alte Frau.«
Wunderbar. Ein jugendlicher Wutanfall vor dem Frühstück. Das hat mir heute Morgen gerade noch gefehlt.
Sie blickte ihn so kalt und gleichgültig an, dass der Junge ein paar Schritte zurückwich. »Das mag schon sein, Söhnchen, aber nicht ich bin es, die Angst vor dem Archimandriten hat. Willst du nun, dass ich mitkomme, oder nicht? Andernfalls gehe ich wieder ins Bett.«
»Na gut«, druckste Scall.
»Na gut, was?«
»Ja, ich möchte, dass du mitkommst … bitte. Aber nicht weil ich Angst hätte«, fügte er kämpferisch hinzu.
»Natürlich nicht.« Toulac widerstand dem Drang, ihm den Kopf zu tätscheln. »Ich will mir nur das Gesicht waschen und auf die Beine kommen, dann bin ich gleich bei dir.« Sie gähnte herzhaft. »Weißt du, ob es hier heute Morgen irgendwo Tee gibt?«
Ein gequälter Ausdruck huschte über Scalls Gesicht, und sie wusste, dass er sich fragte, wie sie mit der Aussicht auf den Archimandriten an so etwas Gewöhnliches wie Tee denken konnte. »Unten gab’s keinen«, antwortete er, »aber das Treffen findet bei jemandem zu Hause statt, und es kommen ziemlich viele Leute, darum geht Ailie hin und macht für alle Frühstück. Dann wollen sie sich das Zeug ansehen, was ich gefunden habe.«
Frühstück! Der Tag hellte sich plötzlich auf. »Warte nur kurz hier«, sagte Toulac und verschwand in ihr Zimmer für die schnellste Morgenwäsche ihres Lebens. Da erst bemerkte sie den Zettel, der unter der Tür durchgeschoben war. Nach dem Stiefelabdruck zu urteilen, musste er schon in der Nacht dagelegen haben. Offenbar war sie so müde gewesen, dass sie ihn nicht gesehen hatte. Die Nachricht kam vom Archimandriten und lud sie ebenfalls zu der Morgenbesprechung ein. Toulac strahlte. Ungeachtet ihrer Meinung von Hauptmann Blank war es immer ein schönes
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