Der Schattenjäger (German Edition)
schief grinsend. »Nein, du bist einfach nett. Und ich darf dir sagen, dass ich das schamlos ausnutzen werde. Denn deine Schwester –«
»Mach dich nicht unglücklich, Moische«, warnte ihn Sascha und hob drohend die Hand. »So nett bin ich auch wieder nicht!«
6 Naftali Ashers letzte Worte
Am Montagmorgen kam Sascha gerade rechtzeitig in der Inquisitionsabteilung an, um Ohrenzeuge der Standpauke zu werden, die Wolf von Polizeichef Keegan erhielt.
Lily wartete mit Philip Payton im Vorzimmer. Payton, der ein paar Jahre älter als Sascha war, war Wolfs Büroangestellter und zugleich sein inoffizieller Ermittler. An diesem Morgen arbeitete aber weder Payton noch Lily, denn beide hörten angeregt Polizeichef Keegan zu. Der war in Wolfs Büro gegangen, um diesen in aller Vertraulichkeit lautstark zur Rede zu stellen. Er hatte aber in seiner Wut vergessen, die Tür hinter sich zu schließen, sodass man alles mithören konnte.
Sascha wusste ohne zu fragen, dass Keegan in Wolfs Büro war. Jeder Streifenbeamte des NYPD bildete sich etwas darauf ein, Tommy Keegans derben irischen Akzent nachahmen zu können. Keegan hatte Karriere gemacht – und manche sagten, auch ein privates Vermögen –, indem er dafür sorgte, dass arme New Yorker ihren reichen Nachbarn bei Geschäften und Vergnügungen nicht in die Quere kamen. Als Polizeichef hatte er als Erstes eine sogenannte »Todeslinie« um das Börsenviertel gezogen. An alle Taschendiebe, Straßenhändler und Hexer aller Art erging die Warnung, diese Linie nicht zu überschreiten, andernfalls werde ein Exempel an ihnen statuiert. In den ärmeren Vierteln könnten sie hingegen tun und lassen, was sie wollten. Ein paar widerwillige Kriminelle trieben wenig später den East River hinunter. Seither überschritt niemand mehr besagte Linie.
Keegans Anhänger rühmten ihn dafür, dass er New York zu einem attraktiven Handelsplatz gemacht habe. Keegans Gegner – nun, seine Gegner verschwanden gewöhnlich in den Zellen der »Grüfte« unter dem Justizpalast, ehe sie Gelegenheit bekamen, viel zu sagen. Selbst Meyer Minsky hatte eingestanden, ihm sei eine Schießerei mit seinen schlimmsten Feinden lieber, als eine Nacht mit Tommy Keegan in den Zellen zu verbringen.
»Merken Sie sich das, Wolf!«, bellte es hinter der Tür. »Lösen Sie den Fall Klosky, und zwar schnell!«
»Sie meinen wohl Klezmer, Sir«, erwiderte Wolf.
»Klosky, Klozmer, was weiß ich, wie die ihre schreckliche Katzenmusik nennen. Die Hauptsache ist doch, wann verhaften Sie endlich?«
»Im Allgemeinen fange ich erst dann an, Geständnisse aus Leuten herauszupressen, wenn sie die Gelegenheit hatten, Verbrechen zu begehen, die sie dann auch gestehen können.«
Keegan stampfte so heftig auf, dass die Tür in den Angeln zitterte. »Ich sage das nicht zum Spaß, Wolf! Die Leute haben ein Auge auf diesen Fall. Und zwar Leute, auf die es ankommt!«
»Leute, auf deren Geld es ankommt«, kommentierte Philip Payton gerade so laut, dass Keegan es nicht hörte. Sascha wusste genau, wen Payton meinte: J. P. Morgaunt, dem in New York so ziemlich alles gehörte, was sich zu besitzen lohnte. Morgaunt war auch der einzige Mann, der Keegan dazu bringen konnte, Wolf in seinem Büro eine Standpauke zu halten, statt es sich mit seinesgleichen in den eichengetäfelten Räumen des Union Club gut gehen zu lassen. Aber warum hatte Morgaunt ein Auge auf diesen Fall? Was scherte ihn dieser lächerliche Vorfall in einem Varietétheater?
»Wie lange geht das da drin schon?«, flüsterte Sascha.
Payton verdrehte nur die Augen.
»Sie waren schon zugange, als ich zum Dienst kam«, sagte Lily. »Das ist gut zehn Minuten her.«
»Was ist mit diesem Schlosky?«, kläffte Keegan nebenan. »Wann schnappen Sie den endlich?«
»Sobald ich ihn finde«, entgegnete Wolf milde lächelnd. »Ich versuche alle Beteiligten aufzuspüren und ihre gemeinsame Verbindung über ihre Arbeit bei Pentacle nachzuverfolgen.«
»Wieso Pentacle? Pentacle ist hier doch nicht das Problem! Das Problem sind die schmutzigen Einwanderer in der Hester Street!«
»Wie bitte?«
»Jetzt spielen Sie nicht den Ahnungslosen, Wolf! Diese gottlosen Wiccanisten werden nicht eher Ruhe geben, bis sie jeden Fabrikbesitzer in New York in die Knie gezwungen haben. Mr Morgaunt sagt, sie schmieden Pläne für einen Generalstreik. Jeder Magische Werktätige in New York soll seinen Arbeitsplatz verlassen und ganz Manhattan lahmgelegt werden.
Pah!
«, schnaubte Keegan
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