Der Schattensucher (German Edition)
hin, als sei deine Welt in bester Ordnung. Vielleicht ist sie das. Aber morgen wird sie es nicht mehr sein und dann wirst du bereuen, mich mit deinen klugen Reden umgarnt zu haben.
Eine Weile starrte er noch auf das Gesicht des Grafen, die sich hebenden und senkenden Nasenflügel, die Falten, die das Kissen in seine Haut drückte. Nein, er war kein besonderer Mann. Er war wie jeder andere. Levin, der Schattensucher , war in sein Gemach eingebrochen, um seinen wertvollsten Gegenstand zu entwenden.
Voller Vorfreude ging Levin zur Wand hinüber, wo der Mantel hing. Ohne Zweifel war es das schönste Kleidungsstück, das er je gesehen hatte. All die Gewänder, die er in seinem Keller hortete, würde er sich in einer anderen Stadt wieder beschaffen können. Aber dieser Mantel würde sein besonderer Begleiter werden. Ehrfürchtig hängte er ihn ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn in den Beutel.
Ich wünsche dir eine gute Nacht, Thanos.
Damit ging er zur Tür und öffnete sie lautlos. Er warf einen letzten Blick zum Bett, dann drehte er sich um und machte einen Schritt nach draußen.
Erschrocken blieb er stehen und riss die Augen auf.
»Schön, Euch zu sehen, Hauptmann Linus. Wir haben Euch schon gesucht«, sagte Jason zynisch. Rechts und links von ihm standen je drei Männer, die mit geladener Armbrust auf ihn zielten. Levin ließ den Beutel sinken und machte ein überraschtes, bedauerndes Gesicht.
39. Kapitel
Durch die Gitterstäbe konnte ihn wenigstens keiner berühren. Ekelhaft wäre das gewesen. Doch die Eisenschellen waren schlimm genug. Ihre scharfen Kanten schnitten in seine Haut, vor allem dann, wenn er sich zu sehr bewegte oder versuchte, seine Arme auszuruhen. Vier Ketten sorgten dafür, dass er die Arme ständig erhoben hatte und die Beine leicht gespreizt blieben. Setzen konnte er sich nicht. Wenn ihm langweilig wurde und er einen frechen Spruch von sich gab, bespuckten sie ihn durch das Gitter.
Zwei volle Tage verbrachte er in dieser Zelle. Im Raum daneben war Jasons Schreibtisch, immer wieder kamen Leute mit irgendwelchen Anliegen vorbei. Dann schauten sie zu Levin hinüber, machten ein empörtes Gesicht und taten so, als löse der Anblick nichts in ihnen aus. In Wirklichkeit sah Levin genau, wie gekränkt sie darüber waren, dass er so unverfroren mit ihren Heiligtümern umgegangen war. Jasons Wolfshund kam häufig vorbei und schien jedes Mal stolz seine Beute zu begutachten. Levin übte sich darin, ihn mit fiesen Blicken zu vertreiben.
»Es wär mal wieder Zeit für einen Schluck Wasser«, rief Levin hinüber.
»Ich bestimme, wann es für etwas Zeit ist«, kam es von Jason zurück. Wenige Augenblicke später kam er mit einem Becher herein und grinste überlegen. »Ich habe beschlossen, dass es jetzt Zeit ist.« Er reichte Levin den Becher hinein. Die Ketten ließen es gerade zu, dass er nach dem Becher greifen und ihn zum Mund führen konnte. Seine Zunge wartete auf die Flüssigkeit, doch sie kam nicht. Erst das untere Drittel des Bechers gab ihm, wonach ihn verlangte. Ein Schluck und der Becher war leer.
»Immer schön sparsam«, sagte Jason, ohne eine Miene zu verziehen.
»Ihr seid das Letzte!« Levin warf den Becher durch das Gitter gegen Jasons Brust. Diesmal erntete er nur einen verächtlichen Blick.
»Jetzt könnt Ihr Euch noch austoben«, sagte Jason. »Bald ist es auch damit vorbei. Was Euch dann erwartet, vermag nicht einmal ich Euch zu sagen. Ich weiß nur, dass es weit unangenehmer sein wird als das hier.«
»Was könnte unangenehmer sein als Eure ständige Nähe?«
»Ihr solltet froh darüber sein, mich zu haben. Es gibt nicht wenige Leute in der brianischen Wache, die Euch am liebsten sofort getötet hätten. Aber ich weiß, dass der Erbauer erst ein Urteil sprechen will, ehe ein Verbrecher bestraft wird. Glaubt mir, ich werde froh sein, wenn ich Euer falsches alsunisches Gesicht nicht mehr sehen muss.«
»Ach ja?« Levin grinste und zog sich mithilfe seiner Zähne den Ärmel über die Schulter. Er hielt Jason den Bussard hin. »Na, wie gefällt er Euch? Ist doch hübsch geworden. Wollt Ihr ihn mir ausbrennen?«
»Das hat nichts zu bedeuten«, sagte Jason und versuchte das Brandzeichen zu ignorieren. »Ihr habt ihn Euch erschlichen. Auch dafür wird der Erbauer Euch zur Rechenschaft ziehen.«
»Immerhin war er selbst dabei, als das Abzeichen gemacht wurde.«
Jetzt ging Jason bedrohlich nahe an das Gitter heran und schoss einen scharfen Blick auf Levin ab. »Jede einzelne
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