Der Schattensucher (German Edition)
Lüge werdet Ihr bereuen. Ich habe Euch gewarnt. Wer etwas sein möchte, was er nicht ist, den erwartet eine umso höhere Strafe. Eure Anmaßung wird sich für den Rest Eures Lebens an Euch rächen. Und ich weiß nicht, ob dieses Leben noch lange dauern wird.«
»Ich habe nie gesagt, dass ich Hauptmann werden will. Das waren alles Ideen von Thanos – ich meine, vom Erbauer.«
»Es ist beschämend, dass Ihr selbst jetzt nicht von Eurer Respektlosigkeit lassen könnt. Aber all das wird sich an Euch rächen und die Gerechtigkeit wird endlich die Dinge so ordnen, wie sie gehören.«
»Ich bin sicher, Thanos wird glücklich sein über einen so tüchtigen, loyalen Hauptmann wie Euch an seiner Seite.«
Jason machte ein säuerliches Gesicht, schien aber nichts in Levins Satz zu finden, dem er widersprechen konnte. »Macht Euch bereit, morgen früh werdet Ihr dem Erbauer gegenübertreten. Zu trinken gibt’s erst wieder etwas, wenn Ihr Euren Becher aufgehoben habt.« Er drehte sich um und ging in seine Kammer zurück. Der Hund knurrte ihn an. Levin kam es vor wie die tierische Form eines hämischen Lachens.
Ja, ja, mach nur, Köter. Das ändert nichts daran, dass dein Gesicht sich kaum von deinem borstigen Hintern unterscheidet. Weißt du was: Ich gönne dir deinen Herrn.
Als Levin am nächsten Tag von drei Wächtern begleitet über den Hof geführt wurde, war er so vielen bösen Blicken ausgesetzt, dass er sie wie Fausthiebe einer Meute empfand, die in einvernehmlicher Wut auf den Sünder eindrosch. Dabei schien diese Wut vor allem dem Zweck zu dienen, die eigene Scham zu überdecken, die Scham über ihr Unvermögen, den Betrüger rechtzeitig erkannt zu haben.
Sie werden auch morgen nicht klüger sein , sagte sich Levin. Ich würde sie noch einmal und auch noch fünfmal täuschen können.
Als er im Empfangssaal stand, konnte er sich der bedrückenden Stimmung nicht mehr entziehen, die sich angesichts seiner Lage schon beim Aufwachen auf ihn gelegt hatte. Die Tatsache, dass er seit einem halben Tag nichts getrunken hatte und er von hämmernden Kopfschmerzen geplagt wurde, erleichterte ihm die Situation nicht gerade. Ernst und bitter fühlte sich jetzt alles an. Man entschied über sein Schicksal.
Der große Tisch war beiseitegeräumt, eine nackte, zerkratzte Fläche bildete nun das Zentrum des Saals. Neben dem Großaufgebot an Wachen waren einige Gelehrte von Briangard anwesend. Jason stand am hinteren Ende der freien Fläche. Und dann war da noch Thanos. Sein Stuhl im erhöhten Teil des Saals war im Schatten kaum zu erkennen. Sein Gesicht entzog sich dem Schein des Kronleuchters. Levin sah auf den ersten Blick nur, dass er seine festlichen Kleider trug. Aus dem versteinerten Gesicht war nahezu nichts abzulesen.
Während der Verhandlung beschränkte sich Thanos aufs Zuhören. Vom Anfang bis zum Ende lag sein Kinn in der stützenden Hand, sein Mund, seine Augen, nichts bewegte sich. Nicht einmal eine Augenbraue hob er.
Dagegen lief Jason zu Höchstform auf. Nie hatte Levin ihn so lebendig erlebt. Jason malte sämtliche Vergehen Levins mit solcher Genauigkeit aus, dass man meinen konnte, er habe die letzten Wochen jede Handbewegung seines Kontrahenten beobachtet. Und immer wieder ertönte aus seinem Mund der Kehrvers, der den Übergang zum nächsten Anklagepunkt markierte: »Eine Schande ist das für Briangard und seinen Erbauer.«
Auf insgesamt dreizehn Anklagepunkte brachte es Jason. Levin konnte nicht viel mehr tun, als sich einen nach dem anderen anzuhören. Wehrlos stand er in der Mitte des Saals, wo ihm der Kronleuchter direkt ins Gesicht strahlte. Es schien ihm sinnlos und demütigend, auf Jasons Ausführungen einzugehen. Es hatten doch alle ihr Urteil bereits gefällt.
Erst als einer der Gelehrten Jason aufforderte, seinen Argumenten auch Beweise beizufügen, schien eine Wende möglich. Doch Jason hatte eine Überraschung parat. Er rief einen Zeugen herbei, der alle Vorwürfe glaubhaft bestätigen würde. Levin erschrak, als der hagere Nadal aus dem Schatten trat und sich der Rückendeckung durch Jason offenbar bewusst zu sein schien.
»Dieser Mann gehört zu der Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Briangard auszuspionieren. Es ist keine Frage, dass wir diese Leute als unsere Feinde betrachten müssen. Umso erfreulicher ist es, dass unser Angeklagter uns ungewollt zum Hauptquartier dieser Gruppe geführt hat. Ganz in Eurem Sinne, Herrlichkeit, habe ich diesmal die Gefahr nicht mit Waffengewalt
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