Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
es ließ von dem Baumstamm ab.
»Komm nur her!«, murmelte er, während er die Pistole ein zweites Mal lud. Schießpulver rieselte ihm auf die Finger, als er das Pulverhorn zu hastig ansetzte. Schneller, schneller, schneller! – er befeuchtete das Schusspflaster mit der Zunge, wickelte die Kugeln hinein; der Ladestock fiel ihm fast aus der Hand, als er die Waffe stopfte – Das Biest kommt immer näher!
Behutsam ließ er das Zündkraut auf die Zündpfanne rieseln, schloss die Batterie – da warf sich das hässliche Mistding mit aller Macht gegen den Baum. Lian verlor die Balance und konnte nur zusehen, wie die Waffe durch die Luft wirbelte. Er wäre ihr gefolgt, hätte er sich nicht im letzten Augenblick festgehalten. Die Echse schnappte nach seinen tretenden Beinen und erwischte seinen linken Fuß! In Panik zog Lian die Beine an – sein Schuh war alles, was das Vieh von ihm zu beißen bekam. Aber die Pistole konnte er vergessen. Sie lag auf halben Wege zwischen Kriss’ Versteck und dem Baum, auf dem er saß. » Korf! « Er schrie es laut in den Wald hinein, während die Fußkrallen der Echse handgroße Stücke aus der Rinde rissen.
Kriss sah die Pistole im weichen Unterholz landen und erwartete halb, dass sich ein Schuss löste. Doch der Hahn war noch in Laderast gespannt und das Ungeheuer von Lian abgelenkt. Ihr Herz donnerte. Wenn sie schnell genug war, konnte sie die Waffe zu fassen kriegen!
Aber sie hatte noch nie in ihrem Leben geschossen! Schon gar nicht auf ein zähnestarrendes Ungetüm, das hundert Mal schneller und stärker war als sie! Wie sollte sie das schaffen?
Egal wie; wenn sie es nicht tat, waren sie beide Echsenfutter, früher oder später. Und sie konnte nicht zulassen, dass ihre Suche so früh endete.
Jetzt kam es auf sie an. Nur auf sie.
Auf Knien und Unterarmen robbte sie aus ihrem Versteck. Die Pistole lag fast zum Greifen nah. Die Echse versuchte noch immer, Lian vom Baum zu werfen.
Los!
Sie kam auf die Beine, rannte, so schnell sie konnte, bückte sich und griff nach der Pistole. Sie wusste nicht viel über Waffen, aber ihr war klar, wenn der Feuerstein nicht mehr im richtigen Winkel stand, oder sich nicht mehr genug Zündkraut in der Zündpfanne befand, war sie verloren.
Sie bekam den polierten Holzgriff zu fassen, hob den Lauf, spannte den Hahn in Feuerrast. Da zuckte der Kopf des Ungeheuers in ihre Richtung! Jeder Muskel in Kriss’ Körper gefror zu Eis, als das Biest in ihre Richtung jagte.
»Drück ab!«, rief Lian. »Worauf wartest du?«
Kriss hörte ihn nicht. Sie sah ihre Reflexion in riesigen roten Augen wie eine Miniatur, eingeschlossen in zwei Rubinen. Sie konnte nicht atmen, sie konnte nicht mal denken. Etwas schwirrte durch die Luft, irgendein großes Insekt oder ...
Ein Vogel!
Die Echse warf den Hals zurück, ihre Ärmchen versuchten, nach ihrem Rücken zu greifen.
»Umi«, flüsterte Kriss. Die tapfere kleine Maschine war zurückgekehrt und hackte wie ein Hammerspatz auf das Rückgrat des Reptils ein.
»Jetzt!«, schrie Lian. »Los!«
Kriss kniff die Augen zusammen. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug. Es gab einen furchtbaren Knall, die Waffe riss ihren rechten Arm nach oben, als Feuer und Rauch aus dem Lauf flogen. Die Echse zuckte einmal. Ein scharlachrotes Rinnsal lief die blauen Schuppen an ihrer Brust herab. Das Ungeheuer gab ein Quaken von sich, über das Kriss unter anderem Umständen vielleicht gelacht hätte. Dann stürzte sein massiger Körper ins Unterholz. Kriss sah, wie ihm der letzte Atemzug entwich. Es war das erste Mal, dass sie getötet hatte. Sie zitterte, ihre Ohren klingelten noch vom Lärm der Pistole und sie nahm kaum wahr, wie Umi auf sie zuflog und dabei glücklich musizierte. Einige seiner Federn waren verbogen und eines der Augen hatte einen deutlichen Sprung. Aber es schien ihn nicht zu kümmern, er war genauso froh, Kriss wieder zu sehen, wie sie ihn.
Lian sprang von seinem Ast und kam zu ihnen. »Das war haarscharf«, keuchte er und atmete tief durch. In seinem Blick lag eine Anerkennung, die Kriss noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. »Guter Schuss«, sagte er. »Ich mein’, für ’ne Anfängerin. – He, geht’s dir gut? Du bist auf einmal so ...«
Kriss schob die Haare zurück und übergab sich auf der Stelle.
»... blass«, vollendete Lian.
Ein Rascheln im Unterholz schreckte sie auf. Lian zog den Säbel aus dem Boden, fuhr herum. Die Spitze der Waffe zeigte direkt auf Lorgis’ Kehle. Der Riese wich
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