Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
mit erhobenen Händen zurück. »Langsam, ja?«
Kriss sah, dass sein rechter Arm mit einem blutdurchtränkten Verband aus Hemdstoff verarztet worden war. Die anderen beiden Luftfahrer folgten Lorgis mit einigem Abstand. Barabell hinkte und musste von Nesko gestützt werden. Der Junge schien unter ihrem Gewicht sehr zu leiden. Jeder der Matrosen hatte Kratzwunden davongetragen, ihre Kleidung hing in Fetzen. Aber sie lebten.
»Verfluchte Viecher!« Lorgis trat gegen den Kadaver der Echse. »Gut gemacht«, sagte er zu Lian.
»Find’ ich auch.« Lian zog einen Mundwinkel hoch. »Nur leider war ich das nich’.« Er zeigte auf Kriss.
Der Matrose sah sie ungläubig an. Vielleicht sogar ein wenig bewundernd.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Nesko ängstlich. »Gehen wir zum Schiff zurück?«
Kriss schwieg, während sie beobachtete, wie Lian seinen von der Echse ausgespuckten Schuh wieder anzog. Sie wusste, dass die Wunden versorgt werden mussten, bevor sie sich infizierten. Und sie glaubte nicht, dass sie, angeschlagen wie sie waren, eine weitere Begegnung mit hungrigen Waldbewohnern überleben würden. Vielleicht war es das Beste, später wiederzukommen, mit mehr Leuten, mehr Waffen. »Wir gehen zurück«, sagte sie schweren Herzens.
Zwar hatten sie Kompass und Karte auf der Flucht verloren, aber die Spuren der Echse waren noch deutlich zu erkennen und damit die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Kopf hoch«, sagte Lian, leise genug, dass die anderen es nicht hörten. »Wir finden’s schon. Ich mein’, was immer ›es‹ is’.«
Kriss wollte ihm gerade von ihrer Befürchtung erzählen, dass sie möglicherweise bereits daran vorbeigelaufen waren; dass es direkt vor ihrer Nase gelegen hatte und sie unfähig gewesen waren, es zu erkennen. Da bemerkte sie, dass jemand fehlte. »Wartet! Wo ist Umi?«
Ein aufgeregtes Trällern ertönte aus einer Entfernung. Sie drehte sich um und sah, dass der Vogel in eine andere Richtung weitergeflogen war. Jetzt drehte er in der Luft Schleifen.
»Isser kaputt?«, fragte Lorgis.
»Nein!« Kriss begriff. »Er will uns etwas zeigen!«
Von neuem Mut beflügelt, lief sie los. Lian schloss sich ihr an.
»Was hast du gefunden?«, fragte Kriss den Vogel. Er kreiste nur weiter vor sich hin. Sie sah sich um, doch es gab es nichts zu sehen, außer Bäumen, Farnen, Blättern und Ranken.
Umi schwirrte steil nach oben. Kriss’ Blick folgte ihm.
Sie hatte sich geirrt. »Es« lag nicht direkt vor ihrer Nase. Eher darüber .
Lian sah es ebenfalls und grinste. »Ich nehm’ alles zurück, was ich über das Vieh gesagt hab’!«
Es war ein Baumhaus, im wahrsten Sinne des Wortes: ein Haus, das aus der Krone eines Baumes gewachsen war. Nichts, das man aus Brettern und Nägeln zusammengezimmert hatte, sondern etwas Lebendiges .
Vier Klafter über ihren Köpfen ruhte es auf einem Stamm so dick, dass eine Kette von zehn Menschen ihn nicht hätte umfassen können, fast vom Laubwerk der umgebenen Bäume verschluckt. Von dem Bisschen, das Kriss aus ihrer Perspektive erkennen konnte, schienen seine Wände aus Rinde zu bestehen; Blätter sprossen aus dem Dach. Kein Wunder, dass sie es vom Schiff aus nicht hatten erkennen können! Erschwerend kam hinzu, dass das Haus keine rechten Winkel aufwies. Man konnte es leicht für eine Laune der Natur halten.
Aber Kriss erkannte deutlich die Scheiben runder Fenster, fast wie Bullaugen. Und Fensterläden. Eine Veranda ringsum, deren Dach und Stützpfeiler verschlungene Äste und Ranken bildeten. Als habe jemand dem Baum befohlen: »Lass mir eine Unterkunft wachsen!« und er hatte gehorcht.
»Habt Ihr so etwas schon einmal ...?«, begann Barabell. Kriss schüttelte nur den Kopf. Sie wusste, dass es möglich gewesen war, mit Hilfe von Ælon das Wachstum einfacher Lebewesen zu beeinflussen. Aber es war enorm schwierig und dauerte Generationen. Sie war sprachlos vor Faszination.
Lian dachte wie immer praktischer. »He!«, rief er, die Hände wie einen Trichter vor den Mund gelegt. »Jemand zu Hause?«
Der Dschungel verschluckte seine Worte. Niemand antwortete, aber davon ließ er sich nicht aufhalten.
Der Stamm des Hauses wies Einkerbungen auf, die im Zickzack nach oben führten. Unmöglich, für Mörderechsen und andere Raubtiere daran hochzugelangen, aber für einen Menschen mit etwas Geschick problemlos zu besteigen. So wie Lian es jetzt tat.
»Sei vorsichtig!« Kriss faltete ihre nervösen Hände.
»Immer doch«, gab er locker zurück. Der
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