Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
durch den neuentstandenen Wald. Ihre Rufe erfüllten Kriss mit Furcht.
»Es ist nie das, was man erwartet.« Bria ging neben ihr; sie sah anders aus als früher. Immer noch schön und gütig, aber ... traurig.
Kriss griff nach ihrer Hand. »Halt aus«, sagte sie. »Ich bin bald bei dir!«
Ihre Mutter strich ihr mit betrübtem Lächeln über die Wange. »Was du suchst, ist nicht das, was du finden wirst.«
Dann war sie verschwunden, wie ein Schatten im Licht.
Kriss blinzelte und der Strand und die Bäume waren ebenfalls fort. Sie stand allein in einer schwarzen Halle. Menschengroße Umrisse verbargen sich unter weißleuchtendem Stoff.
»Bria?«
Ihre Stimme verging ohne Echo in der Schwärze. Etwas bewegte sich unter den Laken.
»Bria?«
Große Würmer aus Stahl schossen unter dem weißen Stoff hervor, schlängelten sich um sie und erdrückten sie.
» Bria! « Kriss versuchte sich zu befreien, strampelte mit Armen und Beinen. Aber es waren keine Würmer, die um sie lagen, sondern eine Bettdecke. Sie warf sie von sich, schnappte nach Luft.
Sie lag auf einem Bett in einem kleinen Raum. Es war nicht ihr Quartier auf der Windrose . Die Wände bestanden aus Metall, nicht aus Holz, auch hörte sie keine Antriebe, sondern nur ein leises, ælonisches Singen. Es gab ein verhangenes Bullauge und eine einzige, schmucklose Gaslampe an der Decke.
»Morgen«, grüßte eine vertraute Stimme. »Oder Abend, keine Ahnung.«
Kriss drehte sich zur Seite. Lian saß auf einem Stuhl vor einem winzigen Tisch. »Schlecht geschlafen?« Er klang besorgt.
Ihn zu sehen beruhigte Kriss zumindest ein wenig. Aber wo war Umi? Dann fiel es ihr ein. Sie rieb sich das müde Gesicht, versuchte die Erinnerung an schwarze Würmer abzuschütteln. »Nur ein Albtraum«, antwortete sie schließlich.
»Ging mir nich’ anders«, sagte Lian. Auf seinem Schoß lag ein Buch, das er von dem Regal an der Wand hinter sich genommen haben musste: » Aufstieg und Fall des Kiradianischen Reiches «. Kriss stutzte. Ein Buch? Träumte sie vielleicht immer noch? Aber die metallene Wand fühlte sich sehr wirklich an (sie spürte ein kaum wahrnehmbares Vibrieren, als sie sie berührte). Erst jetzt begriff sie, dass sie in ihren Sachen geschlafen hatte. Die Matratze quietschte, als sie sich auf den Bettrand setzte. »Wo – wo sind wir?«
Lian zuckte mit den Achseln. »Wüsst’ ich auch gern.«
Kriss war aufgestanden und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.
»Vergisses.« Lian schlug das Buch zusammen. »Die is’ verriegelt.«
Kriss erstarrte, als die Erinnerung zurückkehrte. Der Turm, das Auftauchen der Graujacken. Sie verrenkte sich fast den Arm, als sie nach der Stelle an ihrer Schulter fasste, an der sie der Betäubungspfeil getroffen hatte. Sie waren aus der einen Zelle geflohen, nur um in der nächsten zu landen. Warum? Was wollten die Graujacken von ihnen? Dumme Frage , schalt sie sich. Den Weg nach Dalahan natürlich. Aber wozu?
Sie trat an das Bullauge und zog den Vorhang zur Seite. Dahinter herrschte tiefschwarze Nacht. Nein, keine Nacht. Mit offenem Mund sah Kriss Fische am Bullauge vorbeiflitzen, im Licht aus der Kabine silbern aufblitzend. »Wir sind auf einem Schiff!«
»Dir entgeht auch nix.« Sie hörte, wie unruhig Lian war.
Aber es war nicht irgendein Schiff. Ein Unterseeboot. Ælonisch, wie es schien. Es konnte nicht das gleiche Schiff sein, mit dem die Graujacken den Turm angeflogen hatten, oder?
Doch. Doch, natürlich konnte es das. Sie erinnerte sich an das Modell im Museum der Universität: ein Gefährt, das wie die Spitze eines Speers geformt war. Die Außenhülle sah aus, als wäre sie aus Kanoneneisen gegossen und mit Reihen von Metalldornen besetzt. Die Brücke lag ganz vorne, unter einer Panzerplatte, die an das hochgeklappte Visier eines Helms erinnerte.
Eine Erinnerung regte sich. Geschichten über Piraten, die in einem antiken Unterseeboot die Weltmeere unsicher machten und Jagd auf Frachtschiffe machten ...
Kriss erschrak, als jemand scheppernd an die Tür klopfte. Lian erhob sich kampfbereit. Kriss stellte sich neben ihn, jeder Muskel ihres Körper war angespannt. Vielleicht bekamen sie nun wenigstens Antworten.
Eine Frau trat ein. Sie trug die gleiche uniformartige Kleidung wie alle Graujacken. Ihr Zopf war so streng geflochten, dass ihre Gesichtshaut aussah wie über den Knochen gespannt. Es war die Frau, die ihre Verfolger in Dschakura angeführt hatte. Auf ihrer Stirn trug sie drei rote Striche, die Umis
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