Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
zu freuen. Es konnte noch so viel passieren. Das war bei jeder Schwangerschaft so. Aber er würde sie umsorgen. Essen kochen, ihr alle schweren Sachen abnehmen. Alles Mögliche, und wenn sie wollte, würde er sie jeden Morgen aus dem Bett an den Frühstückstisch auf dem Balkon tragen …
Das Telefon klingelte. »Bentzon.«
»Rantzau hier.«
Die Stimme des alten Rechtsmediziners zu hören, war wie eine Unterbrechung mitten in einem guten Film.
»Was kann ich für dich tun, Theo?«
»Bentzon, es ist noch einer aufgetaucht.«
»Wie? Noch einer?«
»Genau das Gleiche. Ertränkt und wiederbelebt.«
»Aus dem Hafen gefischt?«
»Hafen? Wovon redest du? Er wurde von seiner Freundin gefunden. In seiner Wohnung. Tot. Er lag auf dem Boden. Als wir ihn hierhatten, sind mir als Erstes die Stellen auf seiner Brust auf gefallen.«
»Von einem Defi?«
»Ja, und Einstiche. Der war vollgepumpt mit Adrenalin. Eine versuchte Wiederbelebung. Vermutlich vorher betäubt, das wer den die chemischen Untersuchungen ergeben. Ich tippe mal auf Ketamin, intramuskulär.«
Niels zögerte. Sah in die Küche. Der Koch hatte gerade feine Streifen Fleisch in den Wok geworfen. Es roch nach frischem Koriander. Nach Leben.
»Bist du noch da?«
»Ich arbeite eigentlich nicht mehr an dem Fall. Ich habe Ferien.«
»Okay, ist in Ordnung. Dann entschuldige, dass ich dich gestört habe, und schöne Ferien.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Niels saß mit dem Telefon in der Hand da und versuchte sich einzureden, dass der Fall in guten Händen war – nur eben nicht in seinen. Er nahm die Lektüre der Zeitung wieder auf, aber seine Augen huschten über die Worte, ohne ein einziges davon zu erfassen. Noch einer. Defibrillator. Ertränkt.
18.
Islands Brygge, 20.45 Uhr
Wasser sollte dabei sein, ein Strandspaziergang oder ein Bad im Meer. Eine Angeltour, zwei Stunden, in denen man nichts hörte als die Geräusche des Wassers. Aqua und Luna. Nein, so konnte man seine Kinder nicht nennen. Hannah sah in den Himmel. Es war noch immer hell. Feine Wolken zogen sich zusammen, aber die Meteorologen hatten versprochen, dass man die Mondfinsternis sehen konnte. Sie wollte Niels mit nach oben auf den Run detårn nehmen. In ihrem ersten Jahr am Niels-Bohr-Institut hatte sie ihren eigenen Schlüssel für das Observatorium oben auf dem Turm bekommen, das älteste Europas. Damals hatte sie sich gefragt, wie viele Lover sie im Laufe der Jahre wohl mit nach oben nehmen würde, um ihnen – unter anderem – die Planeten zu zeigen. Den Saturn. Mit seinen Ringen war er der schönste von allen. Wie Verlobungsringe. Die Menschen waren immer ganz aus dem Häuschen, wenn sie ihn zum ersten Mal durch das Teleskop betrachteten. Aber dann hatte sie Gustav getroffen, und der hatte keine Lust auf den Rundetårn gehabt.
Aber heute Abend. Mit Niels. Sie konnte es kaum abwarten.
Hannah blickte über den Hafen. Schlepper zogen aufreizend langsam ihre Bahnen, die Hafenbusse kreuzten hin und her, und am Ufer standen kleine Jungs und warfen Steine ins Wasser. Jungs. Oder Mädchen. Auf jeden Fall waren es zwei. Sie warf einen Blick auf ihren Bauch. Doch. Irgendetwas war geschehen. Wo blieb er denn mit dem Essen? Dann war die Klingel zu hören. Erst dachte sie, es würde beim Nachbarn geklingelt, dann, dass Niels bestimmt seine Schlüssel vergessen hatte. Oder dass er so viel Essen gebracht hatte, dass er es nicht halten und gleichzeitig die Tür aufschließen konnte.
19.
Islands Brygge, 20.50 Uhr
Koriander. Und Kokosmilch. Er hatte es auf den Boden des Autos gestellt, weil er fürchtete, es könne etwas aus den kleinen, weißen Schälchen laufen.
»Komm schon«, sagte Niels laut zu sich selbst.
Die Ampel war noch immer rot. Ein englisch aussehender Mann mit bloßem Oberkörper schob seinen dicken Bauch und seine roten Schultern quälend langsam über die Straße.
Noch einer . Das Gleiche. Defi. Ertränkt.
»Verdammte Scheiße!«
Dann hatte er die ganze Zeit über recht gehabt. Es war nicht bloß Selbstmord gewesen. Egal, womit Dicte experimentiert hatte. Ihr Tod war alles andere als freiwillig gewesen, auch wenn sie vor ihm in die Tiefe gesprungen war. Denn im Grunde war sie gestoßen worden. Von der Furcht. Aber vor wem? Nicht vor Joachim. Er konnte nicht auch bei dem gewesen sein, der jetzt gefunden worden war.
Es wurde grün, aber Niels fuhr nicht los. Der Fahrer im Auto hinter ihm hupte.
»Hör auf, Niels! Du hast Ferien«, sagte er zu sich selbst.
20.
Islands
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