Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
einer Gruppe Kinder und ein paar Schwestern die Mondfinsternis. Die Wolken gaben den Blick auf den Mond frei, und der Umriss der Erde war auf dem Himmelskörper zu erkennen, der uns überallhin folgte. Der kos mische Spiegel, wie Hannah ihn nannte. Unsere einzige Möglichkeit, die Erde von außen zu sehen und etwas über ihren Umriss auszusagen. Zu verstehen, ja zu spüren, dass wir tatsächlich auf einer Kugel stehen, von einer runden Masse angezogen werden und direkt in das Universum unter uns schauen. Nicht über uns, nein, denn wenn die Schwerkraft plötzlich weg wäre, wür den wir alle ins Universum stürzen, egal wo auf der Erde wir uns befinden. Das Universum ist unter uns. Und am Abend der Mondfinsternis spüren wir das, weil die Sonne den Erdschatten auf unseren Mond wirft.
»Schultz?«, sagte der Pförtner.
Der Arzt drehte sich um.
»Hier ist jemand von der Polizei.«
»Können Sie fünf Minuten warten?«
»Nein«, antwortete Niels.
Schultz klopfte einem der jungen Mädchen auf die Schulter. Niels bekam einen kurzen Eindruck von den Kindern und ihren Leiden: Teenager, vor allem Mädchen, zum Teil fürchterlich dünn. Und während der Arzt mit den Kindern redete, dachte Niels an Dicte. Eine Solotänzerin. Hatten Leon und Sommersted wirklich so über ihn geredet? Sahen sie in ihm jemanden, der wie Dicte zu viel Verantwortung auf sich lud? Oder war das nur eine nette Umschreibung für die Tatsache, dass Solotänzer das Talent der anderen grundsätzlich anzweifelten? Dass er nicht daran glaubte, der Rest der Polizei könne mehr ausrichten als er selbst, wenn überhaupt?
»Ihr bleibt jetzt hier und verfolgt das bis zum Ende. Gleich gleitet der Mond aus dem Schatten der Erde«, sagte der Arzt und ging zu Niels.
»Geht es um eine Eileinlieferung? Gewöhnlich ruft der Dis triktspsychiater vorher an …«
»Nein, es geht nicht um eine Einlieferung«, sagte Niels.
»Was ist denn dann so wichtig, dass es nicht warten kann?«
»Ich muss mit einer Ihrer Patientinnen reden. Mit Silke Bergmann.«
»Worüber?«
»Es geht um ihren Vater.«
»Adam? Ist etwas passiert?«
»Wir fürchten, dass er in ein Verbrechen verwickelt ist.«
»Was für ein Verbrechen?«
»Kennen Sie ihn?«
»Er ist Arzt. Wir haben viel über Silke und ihr Wohlergehen gesprochen.«
»Aber sonst wissen Sie nichts über ihn?«
»Er soll Schlafforscher sein, angeblich einer der besten.«
»Sonst noch etwas?«
Schultz trat nervös von einem Fuß auf den anderen, ohne ein Wort zu sagen.
»Ich habe Sie gefragt, was Sie über ihn wissen.«
»Was ich weiß? Ich weiß natürlich das, was ich wissen muss.«
»Und das wäre?«
»Das, was ich wissen muss, um seine Tochter richtig zu be handeln …«
Schultz schien sich selbst zu bremsen. »Die Sache gefällt mir nicht. Und ich unterliege der Schweigepflicht«, sagte er irritiert.
Gut, dachte Niels. Der Arzt hatte seine Rolle verstanden.
»Ich muss mit seiner Tochter reden.«
»Silke spricht nicht.«
»Wie, sie spricht nicht?«
»Sie können das wörtlich nehmen. Seit dem Mord an ihrer Mutter. Wobei ihre Reaktion langsam und schleichend gekommen ist, über Wochen. Sie wurde verhört …« Er richtete sich auf. »Ihre Kollegen bei der Polizei haben sie verhört. Aber eines Tages hat sie einfach nichts mehr gesagt.«
»Ein Schock?«
»Eher eine Psychose. Die ultimative posttraumatische Stressreaktion. Sie ist nicht die Erste.«
»Wie meinen Sie das?«
»Vater erschießt Mutter, während die Kinder zusehen, etwa in der Art. Man liest in den Zeitungen darüber. Und diese Kinder landen dann bei uns. Oft haben sie dichtgemacht wie eine Auster. Es kann Jahre dauern …«
Niels unterbrach ihn: »Aber versteht sie, was sie gefragt wird?«
Schultz sah Niels an, bevor er antwortete.
»Über diesen Punkt gibt es unter den Psychiatern eine gewisse Uneinigkeit.«
»Ich frage aber Sie.«
»Ich bezweifle das keine Sekunde. Ja, Silke versteht.«
20.
Nördlich von Kopenhagen, 22.50 Uhr
»Wo kann sie sein?«
Adam Bergmanns Stirn schmerzte, seine Augenbraue musste aufgeplatzt sein, denn ein dünnes Rinnsal Blut lief über Nase, Lippen und Kinn. Wo hatte sie sich versteckt? Bergmann spürte Panik in sich aufwallen. Du musst ruhig bleiben, dachte er. Ruhig. Sie konnte ja nicht weg. Er holte die hellroten Handschellen mit dem Plüschbesatz, die er in einem Sex-Shop gekauft hatte. Aber sie funktionierten, der Rest war egal. Dann würde er sie eben damit fesseln.
Den Bunker verlassen konnte sie
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