Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
hing eine Weltkarte. Das konnte man nicht falsch verstehen, dachte Hannah. Hier hatte man die dänische Regierung im Falle eines Atomkriegs unterbringen wollen. Von hier aus sollte sie das Land regieren, vermutlich gemeinsam mit einer Reihe anderer wichtiger Personen, wie den Vertretern des Königshauses, hohen Militärfunktionären und wichtigen Staatssekretären und Ministerialbeamten. Und hier, mitten in diesem Kriegsalbtraum, diesem grausigen Überbleibsel einer Wirklichkeit, die es nicht mehr gab, einer Arche Noah ohne Men schen und Tiere, war sie auf der Flucht vor einem Mann, den sie irgendwo hinter sich hören konnte.
»Du kannst nicht weglaufen!«
Seine Stimme dröhnte durch die Gänge. Woher kam sie? Aber seine Schritte näherten sich. Langsam, aber sicher holte er sie ein. Überall waren Türen. Braune, unnahbare Türen, die ihr nichts Gutes wollten. Die entschwundene Zeit wollte sich nicht stören lassen. Sie bog gerade noch rechtzeitig um eine Ecke. Etwas spä ter, und er hätte sie gesehen. Dann entschied sie sich für die dritte Tür auf der linken Seite. Eine zufällige Entscheidung, aber die Tür war offen. Sie schloss sie so vorsichtig wie nur möglich hinter sich, schaltete das Licht aber nicht ein. Sie fürchtete, dass es auf dem Flur zu sehen sein würde. Um sie herum war es nun fast ganz dunkel. Sie hörte ihn an der Tür vorbeilaufen. Seine Schritte entfernten sich über den Flur, es war aber nur eine Frage der Zeit, bis er wieder umkehrte, das wusste sie. Er kannte diesen Bunker und wusste, wo sie sich verstecken konnte. Ein Streifen Licht fiel unter der Tür hindurch in den Raum. Genug, um ein paar Konturen zu erkennen. Ein Etagenbett. Ein Tisch. Zwei Stühle. Eine Lampe. Wo war sie? Wie hieß dieser Ort? Sie öffnete die Schub laden unter der Tischplatte. Kugelschreiber, ein leerer Notizblock. Nichts, das Namen oder Adresse verriet. Dann kam ihr wieder das Telefon in den Sinn. Das alte Wählscheibentelefon, an dem sie auf dem Flur vorbeigekommen war. Vielleicht war das ihre einzige Chance? Wenn es überhaupt funktionierte. Doch, dachte sie, natürlich funktionierte das. Sie musste wieder dorthin zurück. Hier unten war Strom, und die Heizung funktionierte, was ja bedeuten musste, dass diese Anlage noch irgendwie genutzt wurde. Vielleicht dachten die Politiker, dass sie auch in Zeiten des Krieges gegen den Terror interessant sein könnte? Oder im Falle einer unvorhergesehenen Naturkatastrophe in Dänemark? Mit anderen Worten: Das Telefon funktionierte. Es musste einfach funktionieren. Dann kam ihr noch eine andere Möglichkeit in den Sinn: die Alarmanlage. Hinten an der Treppe hatte sie eine große Glocke gesehen, die musste irgendwie zu einer Alarm anlage gehören. Vielleicht ein Feueralarm. Vielleicht konnte sie den auslösen? Hierbleiben konnte sie auf keinen Fall. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Tür öffnen würde, und dann wären ihr alle Fluchtwege versperrt. Hannah trat an die Tür und lauschte. Nichts. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf die Klinke und spähte nach draußen.
19.
Bispebjerg-Klinik – Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 22.49 Uhr
Der Mond oder besser gesagt ein Mondrest hing hoch über der Bispebjerg-Klinik und brachte Niels’ Gedanken wieder zu Han nah. Wie sehr sie sich auf die Mondfinsternis heute Abend gefreut hatte! Als hätte sie sie ihm zu Ehren arrangiert. Wie ein Kind, das einem Erwachsenen sein gerade gemaltes Bild zeigte.
Niels ignorierte das Parkverbot, warf die Autotür hinter sich zu und lief die fünf Stufen zum Haupteingang hoch. Es war nie mand da. Keine Kinder, keine Patienten, kein Personal. Niels rannte über den Flur, vorbei an einer Infotafel für Eltern, auf der ein Smiley klebte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Plötzlich stand ein Pförtner hinter Niels.
»Gibt es irgendwo einen Arzt, der Dienst hat?«
»Wenn Sie nach der psychiatrischen Ambulanz suchen, die ist …«
»Nein, ich muss mit dem Arzt reden, der Dienst hat. Jetzt!«
»Um was geht es denn?«
»Um eine Ihrer Patientinnen. Ich muss mit ihr reden.«
»Okay. Und wer sind S…«
Niels hatte bereits seinen Ausweis herausgeholt und hielt ihn dem Pförtner aggressiv vor das Gesicht.
»Mit wem wollen Sie reden?«
»Silke. Silke Bergmann.«
»Okay, aber das wird schwierig.«
»Warum? Ist sie nicht mehr hier in der Klinik?«
»Doch, aber Silke spricht nicht.«
***
Der diensthabende Arzt stand mitten im Garten an einer Schaukel und beobachtete gemeinsam mit
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