Der schlaue Pate
zunächst anmerken«, begann Andreas, »dass mein Mandant am 31. Dezember letzten Jahres festgenommen wurde, sich seit dem 1. Januar in Untersuchungshaft befindet, nach bedauerlichen Vorfällen in der Haftanstalt und einem zwölftägigen Krankenhausaufenthalt eine Fußfessel trägt und nur einen sehr eingeschränkten Bewegungsspielraum hat.«
»Das ist uns bekannt«, sagte Karras.
»Und ich, nun, hm«, fügte Professor Rind an die Psychologin gewandt hinzu, »kann Ihnen versichern, dass ich viele, viele Stunden mit dem, äh, hm, mit Herrn Baginski verbracht habe, viele Stunden auch in seinem eigenen Haus, wobei er mir seine ganze Lebensgeschichte erzählte. Was ich da gerade am Handy gehört habe, erscheint mir ganz unglaublich, überhaupt nicht der Persönlichkeit von Herrn Baginski, nun, zu entsprechen. Vielleicht könnten Sie uns zunächst, nun, vollständig ins Bild setzen?«
Dr. Bläsius blickte zu Karras. Sie war nicht seine Untergebene, sondern eine externe Beraterin, aber sie ordnete sich ihm eindeutig unter. Der Blick war durch ihre Statur bedingt aufschauend, doch er wirkte auf Desirée beinahe anhimmelnd.
Karras lächelte, aber es war ein geübtes, kein echtes Lächeln. »Wenn Sie erlauben, würde ich Ihrem Mandanten zunächst gern einige Fragen stellen.«
»Ich finde wirklich, wir sollten erst mal wissen, was –«, begann Andreas.
»Soll er doch fragen«, unterbrach ihn Baginski. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Sehr gut.«
Karras nickte, weiter lächelnd. Er war nicht groß und eher schmächtig, aber er schien gewohnt zu sein, dass man nach seiner Pfeife tanzte. Er hatte eine erstaunlich tiefe Stimme, die nicht zur restlichen Erscheinung passte. Seit er bemerkt hatte, dass Rind seine Pfeife, Andreas einen Zigarillo anzündete, rauchte er Kette. Er war von ähnlich kraftloser Physis wie Baginski und schien ähnlich manische Züge einer Suchtpersönlichkeit aufzuweisen, doch während Desirée Baginskis selbstironischer und ehrlicher Umgang damit sehr sympathisch war, hatte sie selten etwas so unmittelbar abstoßend gefunden wie Karras’ überbordendes Ego.
»Herr Baginski, wurden Sie jemals in einem Mordfall vernommen?«
Baginski zeigte ein offenes Lächeln. »Ich ahnte, dass das kommen würde. Ja, in der Tat, das wurde ich, und es hat möglicherweise meine spätere Berufswahl beeinflusst. Es war gegen Ende meiner Bundeswehrzeit in Celle. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt. Eines Tages wurde dort die Leiche einer Prostituierten gefunden, die, meine ich mich zu erinnern, aus dem Nahen Osten stammte und sich illegal in Deutschland aufhielt. Die komplette Belegschaft der Kaserne wurde vernommen, weil eine ganze Reihe der Soldaten, auch der Unteroffiziere und sogar einige der Offiziere, öfter in das Bordell gingen, in dem sie arbeitete.«
»Sie auch?«
»Nein, ich war mein ganzes Leben nie als Gast in einem Bordell. Ich hatte diese Frau, von der man mir Fotos zeigte, nie gesehen, niemand hat mich je in ihrer oder in der Nähe des Bordells gesehen. Deshalb war es nur eine einzige, ziemlich kurze Befragung durch einen jungen Beamten recht niedrigen Ranges, glaube ich. Vermutlich wurden irgendwo Fingerabdrücke gefunden, jedenfalls wurden von uns allen auch die Fingerabdrücke genommen. Offenbar waren es nicht meine, denn ich habe nie wieder etwas von der Sache gehört. Über nähere Umstände wurde ich damals nicht informiert.«
Er zündete sich eine seiner filterlosen Zigaretten an.
Karras nickte Dr. Bläsius zu, die vorgebeugt in ihrem Aktenkoffer kramte und dabei von unten fragte: »Was meinen Sie mit ›nie als Gast‹?«
»Na ja, ich war im Zuge meiner Berufstätigkeit vielleicht drei- oder viermal gezwungen, bei Ermittlungen ein solches Etablissement zu betreten. Selbstverständlich in Begleitung weiterer Ermittlungsbeamter. Ich muss sagen, dass mir die ganze Atmosphäre dort nicht behagte. Auch die eher harten Gesichter der Damen gefielen mir nicht. Die Idee des Bezahlens ebenfalls nicht.«
Dr. Bläsius hielt ihm ein Foto hin. »Sie war Libanesin. Aisha Makkawi, neunzehn Jahre alt. Sie wurde erwürgt. Würden Sie sagen, das ist ein hartes Gesicht?«
Baginski betrachtete es. »Nein, überhaupt nicht. Es ist ein fast schönes Gesicht, wenn man diesen arabischen Typ mag. Jung, eigentlich noch unverdorben.«
»Erkennen Sie es wieder? Es wurde Ihnen damals gezeigt.«
Baginski schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Es ist ewig her.«
»Erkennen Sie die Ähnlichkeit mit
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