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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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konnte nur noch die Augen senken und bitterlich weinen, während ichdas Geräusch der Schere vernahm, mit der mein Vater in meine Haare fuhr. Strähne für Strähne sah ich auf den Boden fallen. Meine langen schwarzen Haare waren stets mein Stolz gewesen. Wie sorgfältig hatte ich sie immer gepflegt! Sie waren ein Teil von mir und meiner Geschichte. Je größer der Haufen von Haaren auf dem Boden wurde, desto mehr fühlte ich mich beraubt und verstümmelt. Ich hörte meine Töchter schluchzen und spürte, dass sie mich verstanden, denn auch sie fühlten bereits wie Frauen.
    Nachdem die Arbeit mit der Schere vollendet war, rasierte mein Vater meinen Schädel mit der Klinge vollkommen kahl. Ungeschickt schnitt er mir an mehreren Stellen in die Kopfhaut, während meine Töchter und ich gemeinsam weinten.
    Als ich mich endlich wieder erheben wollte, hielt meine Mutter mich zurück und schüttete eine braune Flüssigkeit auf meinen kahlen Schädel. Ich glaubte, meine Kopfhaut würde in Flammen stehen! Es brannte so unerträglich, dass ich laut aufschrie!
    Doch meine Eltern zeigten kein Erbarmen. Bevor meine Mutter den Raum verließ, meinte sie noch:
    »Jetzt wirst du keinen Mann mehr verführen, denn deine Haare werden nie wieder wachsen. Mach dir keine Sorgen wegen dem Brennen. Das ist in ein paar Minuten vorbei.«
    Norah und Melissa bliesen auf meinen Kopf, um den Schmerz zu lindern.
    »Dein Kopf ist ganz rot, Mama! Es tut mir so leid für dich!«, sagte Norah erschüttert.
    »Mach dir keine Sorgen! Es tut schon weniger weh. Wichtig ist, dass wir alle drei gesund und unversehrt sind.«
    Ich fühlte mich beschmutzt! Meine Eltern hatten mich vor meinen Töchtern gedemütigt. Ich wollte nicht glauben, dass sie zu einer solchen Niedertracht und Grausamkeit fähig waren.
    In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf, denn ich wusste nicht, wie ich meinen Kopf betten sollte. Außerdem schienen Melissa schlimme Albträume zu quälen.
    Am nächsten Morgen erwachte ich, als mir jemand zart über den Kopf strich. Norah reichte mir ein Tuch, das sie sich oft um den Hals band und in ihrem Schulrucksack aufbewahrte.
    »Hab vielen Dank! Jetzt fühle ich mich schon besser, denn mein Kopf brennt nicht mehr so stark. Mit deinem Tuch kann ich jetzt auch noch die Glatze verstecken.«
    »Was sie auch anstellen, sie werden uns niemals in die Knie zwingen!«, sagte Norah.
    »Nein, mein Schatz! Das werden sie niemals! Wir werden einen Weg finden, ihnen zu entkommen, das verspreche ich dir.«
    Es vergingen mehrere Tage und Nächte, während derer meine Eltern mich weiterhin demütigten und schlugen. Meinen Töchtern gegenüber wiederholten sie unentwegt:
    »Wenn ihr wollt, dass wir eure Mutter verschonen, dann bittet sie, mit euch zu eurem Vater zurückzukehren. Sonst kennen wir kein Erbarmen!«
    Ich schärfte ihnen unablässig ein, dass sie Geduld haben mussten. Mir würde sicher ein Weg einfallen, wie wir unsere Freiheit wiedererlangen konnten. Norah blieb standhaft, aber Melissa sehnte sich nach der Schule, nach Süßigkeiten und wollte sich bewegen. Um sie auf andere Gedanken zu bringen, liefen wir im Gänsemarsch um den Tisch herum und stellten uns dabei alle möglichen Reiseziele vor.
    Ich war ständig damit beschäftigt, meine Töchter zu unterhalten oder abzulenken, aber manchmal gingen mir auch die Ideen aus.
    Wir verlangten nicht viel! Ein paar Atemzüge an der frischen Luft oder ein Blick auf den blauen Himmel hätten uns glücklich gemacht.
    Meine Töchter beeindruckten mich sehr. Mit jedem Tag wuchsen ihr Mut und ihre Entschlossenheit. Es war bewundernswert, dass sie nicht aufgaben und vor meinen Eltern kapitulierten. Ihre Solidarität rührte mich. Wir drei waren untrennbar miteinander verbunden.
    Oft dachte ich an Hussein, der versprochen hatte, sich um uns zu kümmern. Wo steckte er nur?

11. Die Flucht
    Ein ganzer Monat war inzwischen vergangen. Nach reiflicher Überlegung hatte ich eine Entscheidung getroffen. Es war höchste Zeit, dass wir einen Fluchtversuch wagten. Ich legte meinen Töchtern den Plan dar, und sie starrten mich überrascht an. Melissa ergriff als Erste das Wort:
    »Aber, Mama, deine Brüder und Amir sind doch viel stärker als wir. Auch wenn es uns gelingt, aus diesem Raum herauszukommen, werden sie uns überwältigen. Und dann werden wir sicherlich fürchterlich bestraft.«
    Sie zitterte am ganzen Körper und brach in Tränen aus. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken und erwiderte:
    »Du hast völlig recht,

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