Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Angst, dass meine Brüder sich an mir vergreifen. Sie sind zu allem fähig.«
»Fürchten Sie sich nicht, Madame! Ich werde Ihren Bruder hierbehalten, bis Sie bei Ihrer Freundin angelangt sind. Aber dann müssen Sie im Haus bleiben!«
»Ich hätte nicht gedacht, dass es in diesem Land noch Menschen gibt, die bereit sind, uns zu helfen! Ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet!«
»Danken Sie mir an dem Tag, an dem ich Ihnen die Schlüssel Ihres Hauses bringe! Jetzt aber müssen Sie gehen. Vergessen Sie nicht, mich anzurufen!«
Als ich das Büro verließ, sah mich mein Bruder voller Hass an. Ich hörte noch, wie der Kommissar ihn zu sich hineinrief. Unverzüglich kehrten wir in das Haus meiner Freundin zurück, und ich telefonierte mit dem Kommissar. Die Wut meines Bruders über mein Verschwinden konnte ich mir lebhaft vorstellen, ebenso wie die Schimpfworte, mit denen mich meine Familie bei seiner Rückkehr bedenken würde. Aber im Augenblick war ich in Sicherheit! Alles andere zählte nicht.
Bestimmt suchte meine Familie in unserem Wohnviertel und der unmittelbaren Umgebung nach mir! Und wahrscheinlich hatten sie mein Haus verwüstet, um mich zu bestrafen! Ich versuchte diese Gedanken zu verscheuchen. Schließlich hatte ich zwei einflussreiche Verbündete: meine Freundin Layla und den verständnisvollen Kommissar.
Da ich von Hussein nichts gehört hatte, fürchtete ich, dass er sich von mir zurückgezogen hatte. Doch ich wollte Klarheit haben.
Als ich seine Telefonnummer wählte, war ich sehr aufgewühlt. Ich sehnte mich so sehr danach, seine Stimme zu hören! Er erkannte mich sofort.
»Samia! Wo bist du gewesen? Warum hast du dich die ganze Zeit über nicht gemeldet?«
»Du hattest mir doch versprochen, zu meinen Eltern zu kommen! Warum hast du das nicht getan?«
»Ich war dort! Drei Tage nach deinem Treffen mit ihnen bin ich bei deiner Familie gewesen. Dein Bruder hat mir gesagt, dass du mit deinen Töchtern zu deinem Mann zurückgekehrt bist. Ich habe viel an dich gedacht, Samia.«
In aller Eile legte ich ihm die Geschehnisse der letzten Wochen dar.
»Hussein, ich habe Angst, allein zu sein. Meine Familie will mich töten, und ich frage mich, wie ich mich und meine Töchter schützen kann.«
»Meine Gefühle haben sich nicht geändert«, versicherte Hussein. »Ich will dich nach wie vor heiraten und euch beschützen, wenn deine Scheidung offiziell anerkannt ist.«
»Wie soll ich Abdel ausfindig machen? Und selbst wenn es mir gelänge, würde er viel Geld von mir verlangen.«
Wieder einmal befand ich mich in einem ausweglosen Dilemma. Einerseits konnte ich nicht allein für meine Sicherheit sorgen, andererseits verbot es mir die Religion, mit einem Mann zusammenzuleben, ohne dass wir verheiratet waren. Ich saß zwischen zwei Stühlen und konnte mich nur falsch verhalten.
Bekanntlich zählt die Frau in einem muslimischen Land als eigenständige Person nichts. Ihre Identität hängt von dem Mann ab, der die Verantwortung für sie übernimmt, also zunächst vom Vater und dann vom Ehemann. Wenn der Mann stirbt oder sich scheiden lässt, kann die Frau nur mit der Erlaubnis ihrer Familie den Status als Witwe oder Geschiedene erhalten. Sie kann also im günstigsten Fall das Recht erlangen, allein zu leben – wobei sie aber weiterhin der Obhut der Familie untersteht.
Die Lösung konnte nur darin bestehen, meinen Ex-Ehemann ausfindig zu machen und ihm einen Vorschlag zu unterbreiten, damit er der Scheidung zustimmte.
Bis ich wieder in den Besitz meines Hauses gelangen würde, musste Hussein unseren Schutz gewährleisten. Allerdings durfte er nicht in Erscheinung treten, denn hätte man mich in seiner Begleitung gesehen, hätte man mich des Ehebruchs anklagen können. In Algerien gilt Ehebruch als einschweres Verbrechen, das mit der Todesstrafe geahndet werden kann.
Ein paar Tage später rief mich der Kommissar an.
»Guten Tag, Madame Samia! Ich habe die Schlüssel für Ihr Haus! Ich möchte Sie dorthin begleiten, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist!«
Ich konnte es nicht erwarten, in unser Haus zurückzukehren, aber ich hatte Angst, dort allein mit meinen Töchtern zu leben. Das teilte ich auch dem Kommissar mit.
»Ich habe Ihre Familie offiziell gewarnt, Ihnen keine Probleme mehr zu bereiten. Aber bitte rufen Sie mich an, falls es doch welche geben sollte. Dann werde ich sofort einschreiten. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie zu schützen, aber Sie sollten sich nicht mehr mit
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