Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
die Mädchen unverzüglich nach Hause kommen, da ich sonst womöglich beschuldigt werden würde, meiner Fürsorgepflicht nicht nachzukommen.
Zwei Tage später kehrten wir also in unser Haus zurück. Es war noch sehr unordentlich dort, denn alle Möbel waren zerlegt oder standen nicht an ihrem Platz. Wir verstanden uns nicht auf das Zusammenbauen von Möbelstücken, aber wir waren in der Lage, sie an ihren Platz zurückzuschaffen. Womit sollten wir nur beginnen? Viele Gegenstände waren verschwunden, doch daran wollte ich jetzt nicht denken, denn das Wichtigste war, dass wir am Leben und bei guter Gesundheit waren.
Ein paar Stunden später klagte Melissa darüber, dass sie hungrig sei. Der Kühlschrank funktionierte zwar, war aber vollständig leer. Was nun?
Das Telefon war noch nicht wieder ans Netz angeschlossen, und Hussein konnte ich nicht treffen. Also musste ich meinen Stolz überwinden und meine Nachbarin um etwas zu essen bitten. Ich erläuterte ihr meine Situation, um ihr Verständnis zu gewinnen. Noch heute weiß ich, was sie mir brachte: einen Teller Nudeln und ein großes Stück Brot! Als ich ihr dankte, sagte sie noch, sie würde mir immer helfen, wenn sie könnte.
Was für ein Glück hatte ich mit dieser Nachbarin! Gott schien es so einzurichten, dass sich stets eine barmherzige Hand fand, wenn ich sie brauchte! An diesem Abend konnten meine Töchter sich satt essen. Ich selbst gab vor, keinen Appetit zu haben, und beschränkte mich auf ein kleines Stück Brot.
Irgendwann am Abend klingelte es an der Haustür. Instinktiv flüchteten sich meine beiden Töchter zu mir. Mit fester Stimme fragte ich:
»Wer ist da?«
»Malika, Ihre Nachbarin von gegenüber. Ich muss Ihnen etwas sagen.«
Als ich sie hereinbat, blickte ich mich rasch draußen um, konnte aber nichts Verdächtiges bemerken.
»Fürchten Sie sich vor irgendetwas?«, fragte sie.
Ich legte ihr unsere Lage dar, denn vielleicht konnte sie zu einer Verbündeten werden.
»Sie können auf mich zählen. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Sie können mein Telefon benutzen, wann immer Sie es brauchen. Es ist mir ein Vergnügen.«
Als sie meine zerlegten Möbel sah, schlug sie mir vor, einen handwerklich geschickten Nachbarn um Hilfe zu bitten.
»Dafür wäre ich sehr dankbar, aber ich habe kein Geld, um ihn zu bezahlen.«
»Ich kenne ihn gut. Er wird kein Geld verlangen.«
»Das würde mir sehr helfen, denn allein kommen wir mit den Möbeln nicht weiter. Ich würde auch gerne telefonieren, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht.«
»Überhaupt nicht! Kommen Sie mit mir!«
Ich rief Hussein an und bat ihn, uns am nächsten Morgen etwas zu essen zu bringen. Als meine Nachbarin meine Worte hörte, warnte sie mich:
»Ich kann Ihnen doch morgen wieder etwas zu essen bringen. Es wäre zu gefährlich, wenn Ihr Freund hierherkommt!«
Ich dankte Malika. Aufgrund ihrer Fürsorge hatten wir zu essen, ohne unsere Sicherheit aufs Spiel zu setzen.
Am nächsten Morgen brachte sie uns drei Croissants und drei große Tassen Milchkaffee. So konnten meine Töchter sich gestärkt auf den Schulweg machen.
Ich fürchtete mich vor dem Augenblick der Trennung. Da wir eine so lange Zeit Tag und Nacht zusammen verbracht und so harte Prüfungen durchgestanden hatten, war unsere Bindung noch enger geworden. Doch es wäre sehr egoistisch gewesen, sie nicht gehen zu lassen. Ich umarmte Norah und mahnte sie noch einmal zu äußerster Vorsicht. Dann begleitete ich Melissa zur Schule.
Wie sollte ich meine Kinder in der kommenden Zeit ernähren? Malika, meine großzügige Nachbarin, war Witwe und lebte von der kargen Rente ihres verstorbenen Mannes. Da die Zeiten in Algerien schlecht und die Lebenshaltungskosten hoch waren, konnte sie mir nur gelegentlich helfen. Ich musste eine andere Lösung finden.
Da klingelte plötzlich das Telefon. Ein Mitarbeiter der Telefongesellschaft erklärte mir, dass mein Ehemann die Kosten für den Anschluss bezahlt hätte. Ich hielt das für einen üblen Scherz, bis mich zehn Minuten später Hussein anrief.
»Guten Tag, Samia! Freust du dich über meine Überraschung? Ich wollte ohne Mittelsperson mit dir reden können.«
Wie aufmerksam von ihm! Es beruhigte mich sehr, dass ich im Notfall jemanden anrufen konnte.
Ich kam nicht sofort auf den Gedanken, dass dieses schöne Telefon zu einer unerschöpflichen Quelle von Ärgernissen werden könnte. Ein paar Tage später rief Abdel mich an und verlangte eine große Summe Geld für seine
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