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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Panzer des Eises zu befreien.
    Sie sitzen ganz dicht beieinander und fühlen den jeweils anderen gut, so gut, dass es eigentlich unangenehm sein müsste, gänzlich unerträglich jedenfalls für Jens, einen anderen Kerl so dicht auf der Pelle zu haben. Trotzdem rückt er nicht von dem Jungen ab, und der findet es einfach schön, schließlich hat er den großen Mann schon in einem Bett an der Winterküste in seinen Armen gehalten, Lebendiges drängt zu Lebendigem, das ist ganz natürlich, und darum drückt er sich wie ein junger Hund noch enger an Jens. Der sieht ihn an. Ist dir kalt?, fragt er, nicht sehr abweisend, aber doch ein bisschen, und der Junge rückt ein Stück von ihm ab.
    Es war falsch von mir, dich zurückzulassen, sagt Jens, nachdem der Junge auf genügend Abstand gegangen ist.
    Du bist zurückgekommen.
    Schlechte Entschuldigung, wenn du umgekommen wärst.
    Danach schweigen sie wieder, der Junge wagt nicht, zu reden, aus Angst, das gute Einvernehmen zu zerstören, das unerwartet zwischen ihnen gewachsen ist, und da sagt Jens unvermittelt: Ich habe es nie jemandem erzählt.
    Was?, fragt der Junge fast eingeschüchtert von der ungewohnten Vertraulichkeit und ist nicht sicher, ob er überhaupt mehr erfahren möchte.
    Ich habe Dinge gesehen und gehört, und das hat mich ziemlich beunruhigt, fährt Jens fort. Ich bin über die Hochheiden gewandert und habe gewisse Dinge gesehen. Und gehört. Ich habe in hellen Juninächten Berge gesehen, die aussahen wie schlafende Vögel. Dann habe ich sie singen gehört. Aber Berge singen nicht, das ist ausgemachter Schwachsinn.
    Der Junge wagt nicht, Jens anzusehen, bis er sicher ist, dass von dem Postboten vorerst nichts mehr kommt; erst dann gibt er zögerlich zu: Ich habe sie auch singen gehört, die Berge.
    Das habe ich befürchtet, gibt Jens zurück.
    Schweigen. Dann:
    Warum hast du das befürchtet?
    Es ist nicht gesund, Berge singen zu hören, das sind ja keine Vögel.
    Wieder Schweigen. Dann:
    Und du hast nie jemandem davon erzählt?
    Bist du nicht ganz dicht?!
    Nicht einmal … hm, ihr?
    Nein, obwohl dich das nichts angeht.
    Wieder Schweigen. Dann:
    Sie muss aber doch wissen, was für ein Mensch du bist.
    Als ob sie das nicht wüsste.
    Aber du hast ihr nichts vom Gesang der Berge gesagt.
    Dann würde sie glauben, ich wäre weich hier oben in der Birne. Ich wusste, dass es ein Fehler ist, dir davon zu erzählen.
    Es war kein Fehler.
    Jetzt essen wir, sagt Jens und packt den Rest ihres Proviants aus. Sie essen schweigend, stärken sich, und kein Berg singt währenddessen für sie. Dann steht Jens auf.
    Folgen wir weiter dem Schemen?, fragt der Junge.
    Welchem Schemen?
    Den du auch gesehen hast. Dem wir hinterhergegangen sind.
    Hast du irgendwas gesehen?, fragt Jens. Ich bin niemandem nachgelaufen.
    Aber wir sind zweimal in seine Richtung abgebogen, und anschließend verschwand er jedes Mal, sagt der Junge.
    Wir folgen keinem Schemen. Man verlässt sich einzig und allein auf sich selbst und auf sonst niemanden, am allerwenigsten auf einen Schemen. Jetzt geht es weiter. Ich habe im Nacken keine Augen, du musst zusehen, dass du bei mir bleibst. Es ist alles andere als sicher, dass wir auf bewohntes Gebiet stoßen, das solltest du dir klarmachen, aber ein Mann kämpft, auch wenn es keine Rettung mehr gibt. Das heißt, ein Mann zu sein.
    Ein klares Ziel zu haben ist ein großer Vorteil. Viele gehen durchs Leben, ohne überhaupt einmal ein Ziel vor Augen zu haben. Sie latschen irgendwie los, leben von einer Zufälligkeit zur nächsten, ein Kuss hier, Tränen da, eine Berührung, Einsamkeit, Treuebrüche, und nie haben sie eine Ahnung, wozu das alles, woher und wohin. Wer ein zielloses Leben führt, kann selbstverständlich auch seine Glücksmomente erleben, aber sie sind deutlich von Beliebigkeit geprägt, glückliche Zufälle, keine Ernte, der Junge jedoch hat nun endlich ein klares und höchst einfaches Ziel: Er darf Jens nicht verlieren. Sie werden in diesem zermürbenden Schneesturm ohne die geringste Sicht herumirren, ausgekühlt, hungrig und durstig, und er darf bei alldem nach Möglichkeit nie diesen großen, kräftigen Mann aus den Augen verlieren, der unermüdlich zu sein scheint, der die Berge singen hörte wie Vögel, der ihm erlaubt hat, ganz dicht bei ihm zu sitzen, der ihm diese wundersamen Dinge anvertraut hat, danach aber ziemlich böse wurde und sich jetzt nicht einmal umdreht, um zu schauen, ob der Junge noch hinter ihm ist; er stapft vorwärts, guckt

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