Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Speichers gelegen und die eigene Tochter gefilmt hatte, ihre Freundinnen …
Parrish wartete, genau wie Carole und die Kinder. Sarah klopfte an die Tür, trat zurück, warf ihrer Mutter einen Blick zu. Einen Moment lang schien es, als hätte sie Parrish entdeckt, doch in ihrem Blick war kein Zögern oder Zaudern zu erkennen.
Sie hob die Hand, um noch einmal zu klopfen, und diesmal öffnete sich die Tür. Einen Moment lang blieb Carole Paretski mit verschränkten Armen stehen, ehe sie die Kinder umarmte und küsste und schließlich zusah, wie sie ins Haus traten. Mit unbewegter Miene wechselte sie einige Worte mit ihrem Exmann. Er nickte und wollte die Tür schließen, doch sie sagte noch etwas, das ihn sich umdrehen und die Stirn runzeln ließ. Vielleicht hatte er sich gerade an etwas erinnert, jedenfalls lächelte er geschäftsmäßig, trat ins Haus und ließ die Tür offen stehen. Wenige Augenblicke später kehrte er mit einem Blatt Papier zurück. Sie durchsuchte ihre Handtasche und reichte ihm einen Stift, woraufhin er das Blatt am unteren Ende signierte, es zusammenfaltete und ihr reichte. Worum ging es? Eine Erlaubnis, dass die Kinder an irgendwelchen schulischen Aktivitäten teilnehmen durften? Eine Einverständniserklärung für Musikunterricht, ein Arzttermin, eine Rechnung vom Kieferorthopäden? Ganz egal. Die Angelegenheit war erledigt. Carole ging zurück zu ihrem Auto, Richard trat ins Haus und schloss die Tür, und Parrish saß eine Minute lang still da, während sein Herz mit doppelter Geschwindigkeit schlug. Carole Paretski warf einen letzten Blick auf das Haus, dann stieg sie ein und fuhr los. In diesem Moment wünschte Parrish sich Michael Vale an seiner Seite. Sein Partner hätte ihn verstanden. Sein Partner hätte das hier mit ihm gemeinsam durchgezogen. Wäre sein Partner noch am Leben, dann müsste er jetzt nicht für Jimmy Radick den Onkel spielen.
Wieder lag das Haus still vor ihm. Parrish atmete tief durch und richtete sich auf ein erneutes längeres Warten ein.
Doch diesmal dauerte es nicht lange. Höchstens vierzig Minuten. McKee verließ das Haus allein, ging zu Fuß zum Ende der Straße und hielt fünf Minuten später mit seinem Geländewagen vor dem Haus. Er trat an die Haustür und rief nach den Kindern. Sobald sie im Wagen saßen, schloss er die Tür ab.
Gemeinsam fuhren sie los. Sie fuhren weg und ließen Frank Parrish allein mit dem leeren Haus zurück.
Parrish zögerte nicht lange, und doch kam es ihm vor wie eine kleine Ewigkeit. Ihm war bewusst, dass in diesem Moment der Punkt erreicht war, an dem es kein Zurück mehr gab. Wenn er nicht hier sitzen bliebe, würde er ins Haus eindringen; wenn er ins Haus eindränge, würde er nicht wieder herauskommen, ehe er etwas Eindeutiges und Beweiskräftiges entdeckt hätte. Er musste die Trophäen finden, von denen Ron mit solcher Entschiedenheit gesprochen hatte. Den Gedanken, dass er sich irren könnte, wollte er sich nicht gestatten. Diese Möglichkeit wäre viel zu unangenehm, um sich jetzt damit zu beschäftigen. Es war seine Intuition, die ihn hierhergetrieben hatte, sein Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit – beruflich wie persönlich. Er war hier, weil er nicht daran zweifelte, dass Richard McKee, Angestellter der Jugendbehörde South Two, ein Kindesentführer, Vergewaltiger und Sexualmörder war. Die Opfer hatten Eltern gehabt; sie waren Töchter, die irgendwann einmal geliebt worden waren, bis die Realität in ihrer schlimmstmöglichen Form zugeschlagen hatte …
Parrish griff nach dem Türöffner und stieg aus dem Wagen. Er nahm seine Reisetasche, seine Schlüssel, seine Taschenlampe und seine .32er.
Schnell überquerte er die Straße und öffnete die Haustür mit einer Geschicklichkeit und Effizienz, die nichts von seiner Panik verrieten. Binnen dreißig Sekunden stand er im Hausflur.
Dort wartete er einen Moment, um seine Pulsfrequenz auf ein halbwegs reguläres Maß herunterzufahren. Das gelang ihm nur teilweise, aber immerhin gut genug, um sich an die Arbeit machen zu können.
78
»Wie heißt sie?«
»Eve, glaube ich, vielleicht auch Evelyn, ich bin nicht ganz sicher.«
Radick runzelte die Stirn. »Eines sage ich dir: Mir gegenüber hat er niemals die leiseste Bemerkung fallen lassen, dass er mit irgendwem etwas laufen hat«, sagte er.
Caitlin Parrish streckte die Hand aus und berührte mit dem Zeigefinger Jimmy Radicks Lippen. »Das liegt daran, dass dir die weibliche Intuition fehlt. Wir sehen Dinge, die
Weitere Kostenlose Bücher