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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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festgezurrten Fracht durchbrachen die Stille. Die Tuareg unterhielten sich nur wenig. Tagsüber ritten sie stumm und in Tücher gehüllt auf den Rücken ihrer Tiere durch die glühende Einsamkeit. Yoba kam es so vor, als würden sie mit ihr verschmelzen. Erst wenn in der Nacht gerastet wurde, die Dromedare versorgt und die Gebete gen Mekka verrichtet waren, erwachten die Männer zum Leben. Dann wurde ausgiebig gespeist und heißer Tee mit Pfefferminzblättern geschlürft. Anschließend erzählte man sich imMondlicht unheimliche Geschichten. Obgleich sich die Wüstenmänner in einer fremden Sprache unterhielten, fand Yoba schnell heraus, dass sie fast alle von den Dschinns und ihrer grausamen Launenhaftigkeit handelten.
    Trotz dieser kurzweiligen Unterbrechungen schien die tagtägliche Tortur einfach kein Ende zu nehmen. Dabei tat Mustafa alles, damit Yoba schnell wieder zu Kräften kam. Unter den Tuareg schien der alte Karawanenführer einen besonderen Respekt zu genießen, denn sie gehorchten ihm, ohne je zu murren. Als sei ihnen bewusst, dass ihr Überleben allein in der Hand ihres erfahrenen Madugu lag. Unterlief ihm ein Fehler, war die Karawane dem Tode geweiht. Die Wüste würde sie wie Unzählige vor ihnen einfach verschlucken. So als hätten sie nie existiert.
    Yoba plagten hingegen ganz andere Gedanken. Mit jedem neuen Tag lastete das Schicksal seines Bruders schwerer auf seinen Schultern. Irgendwann hielt er es nicht mehr länger aus. Das ständige Geschaukel und die nervtötende Langsamkeit machten ihn wahnsinnig. Er sprang in den Sand und lief neben Mustafa her, der im Schneidersitz auf dem Dromedar sitzen blieb.
    »Das dauert ja eine Ewigkeit!«, stöhnte Yoba. Er schlang das Tuch neu um den Kopf, so wie es ihm Mustafa gezeigt hatte. »Geht das nicht schneller? Ich meine, können wir nicht vorausreiten?«
    »Warum hast du es so eilig?«, wunderte sich Mustafa. »Ohne Geduld erreicht niemand sein Ziel.«
    »Das mag ja stimmen«, klagte Yoba, »aber ich brauche Gewissheit. Wenn mein Bruder noch lebt, muss ich ihn finden. So schnell wie möglich.«
    »Und warum?«
    »Weil er …«, Yoba zögerte. »Er ist ein bisschen komisch im Kopf, verstehst du? Wie ein Kind, das nicht erwachsen wird. Ohne mich werden ihn die Leute schlecht behandeln und ausnutzen.«
    Der alte Karawanenführer gab seinem Dromedar einen sanften Klaps mit der Reitgerte und schwieg. Yoba stakste neben ihm durch den Sand. Die verwitterten Felsen und Steine waren in den letzten Tagen immer größeren Dünen gewichen. An manchen Stellen reichte das Sandmeer mittlerweile bis zum Horizont.
    »Weißt du, was mich wundert?«, sagte Yoba, nachdem sie eine Weile nebeneinander durch den knöcheltiefen Sand gestapft waren. »Du hast mich nie gefragt, wie ich heiße oder woher ich komme.«
    »Was spielt dein Name für eine Rolle?«, gab der alte Madugu zurück. »Du gehörst der Wüste. Und wo du herkommst, brauche ich nicht zu fragen.«
    »Ach ja?«
    Mustafa blickte über den Kopf seines Dromedars hinweg. Das blaue, um den Kopf gewickelte Tuch verbarg sein Gesicht.
    »Seit Jahrhunderten ziehen Menschen auf der Suche nach Reichtum und Glück durch die Wüste«, sagte er. »Einige sterben, andere nicht. Allah allein trifft die Entscheidung.«

31.
    Am Mittag des folgenden Tages kam die Salzoase endlich in Sicht. Inmitten der Eintönigkeit wirkte das Grün der Pflanzenwie ein zufällig dahingeworfener Farbtupfer. Yoba atmete erleichtert auf. Nach dem tagelangen Ritt konnte er es kaum erwarten, endlich von dem wankenden Dromedar herunterzukommen. Auch die Tiere schienen die nahe Erlösung zu spüren, denn sie drängten unruhig schnaubend vorwärts. Die Tuareg hatten alle Mühe, sie im Zaum zu halten.
    Die Oase war viel größer, als er erwartet hatte. Flache, lehmfarbene Häuser duckten sich tief in die weitläufigen Palmenhaine, Vögel zwitscherten und Kinder spielten auf den Straßen. Nach der glühenden Wüste kam sich Yoba plötzlich vor wie im Paradies. Als sie an einem hölzernen, von einem Esel angetriebenen Wasserrad vorbeikamen, mit dem das kostbare Nass auf die Felder verteilt wurde, musste er sich zusammenreißen, um nicht in einen der gefüllten Bewässerungsgräben zu springen. Das sanfte Plätschern klang wie Engelsmusik und mit einem Mal wurde Yoba bewusst, wie schmutzig er war. Unter seinem weiten Tuareggewand war jeder Zentimeter seines Körpers von einem schmierigen Film aus Schweiß, Sand und Dreck überzogen. Hinzu kam der Gestank des

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