Der Schwur
ganz so bodenlos war der Abgrund also doch nicht. Bei ihrem Aufprall wirbelte eine rötliche Staubwolke aus dem Boden auf, und dann kippte ihre Unterlage zur Seite. Melanie rutschte ab, versuchte vergeblich, sich an der glatten Oberfläche festzuhalten, und fiel wieder. Diesmal jedoch landete sie hart. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren linken Fuß, und sie schrie wieder auf, rollte über den Boden und blieb endlich zusammengekrümmt und schluchzend liegen. So hatte sie sich ihr Abenteuer wirklich nicht vorgestellt!
Gleich darauf hörte sie es in der Nähe poltern und krachen. Steine rollten. Etwas kam zu ihr! Entsetzt riss sie die Augen auf und stellte fest, dass es hier unten gar nicht mehr so dunkel war. Stattdessen herrschte ein rötliches, trübes Zwielicht – und sie sah Darian, der, von einem Haufen Geröll begleitet, an einem steilen Berghang zu ihr herunterrutschte. Dicht neben ihr schlugen die ersten Steine auf. Hastig rutschte Melanie zur Seite. Weit kam sie allerdings nicht. Sie stieß gegen das große, glatte, weiche Ding, das ihren Sturz abgefangen hatte. Seltsamerweise war es ganz leicht. Es rollte ein Stück zur Seite – und kippte plötzlich nach unten über eine Kante und verschwand in der Tiefe. Jetzt begriff Melanie, wo sie war. Sie saß auf einem schmalen Vorsprung mitten in einer Felswand. Und das, worauf sie gelandet war, war ein riesiger Pilz, der unter ihrem Gewicht abgebrochen war. Nur ein Stück vom Stiel ragte noch aus dem Geröll.
Darian landete neben ihr, hustete und klopfte sich den Staub von den Kleidern. »Bist du in Ordnung?«
Sie nickte stumm und erinnerte sich erst dann an ihren schmerzenden Fuß. »Ich – ich glaube, ich hab mir den Fuß gebrochen«, sagte sie, schniefte und wischte sich die Augen. »Wo sind wir? Was machst du hier? Hat Nachtfrost dich abgeworfen?«
»Nein«, sagte er knapp und kniete sich neben sie. »Zeig mir den Fuß. Warum tragt ihr eigentlich Stiefel, die man nicht schnüren und nicht wickeln kann? Den muss ich aufschneiden. Halt still.« Er zog den Dolch, den Asarié ihm gegeben hatte, fasste Melanies Stiefel oben an und schnitt vorsichtig durch das Gummi. Schon die leichte Berührung tat weh, und Melanie biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Es schien endlos zu dauern, bis Darian den Stiefel in seiner ganzen Länge aufgeschnitten und ihr auch den Strumpf ausgezogen hatte. Stirnrunzelnd betrachtete er den Fuß. »Wackel mal mit den Zehen.«
»Das tut aber weh!«
»Natürlich tut es weh.« Das klang ziemlich schroff. »Du wirst es überleben.«
»Na danke«, gab Melanie bissig zurück und bewegte die Zehen. Wieder stach der Schmerz durch ihren Knöchel.
Darian legte ganz vorsichtig seine kühle Hand auf die heiße Haut. »Gebrochen ist er nicht. Glück gehabt. Halt still.«
Melanie zwang sich, ganz ruhig zu sitzen. Darian schiennichts zu tun, aber plötzlich fühlte sich seine Hand heiß an – oder eiskalt? Und sofort danach war der Schmerz verschwunden. Darian zog die Hand zurück. »Jetzt steh auf.«
Sie tat es – sehr vorsichtig. Als sie den Fuß belastete, wartete sie auf den Schmerz – aber da war nichts. Sie konnte problemlos stehen und humpelte nicht einmal, als sie ein paar Schritte ging. Erstaunt und begeistert drehte sie sich zu Darian um. »Du hast mich geheilt! Danke! Wie machst du das? Kann ich das auch lernen?«
»Fliegen wäre jetzt nützlicher«, gab Darian kurz zurück. »Das kann ich nämlich nicht, und ich weiß nicht, wie wir hier sonst wieder wegkommen.«
»Wo sind wir denn überhaupt?« Melanie drehte sich um. »Was sind das für komische Pilze?«
»Ich weiß es nicht. Wir sind irgendwo unter der Nebelbrücke. Und das …« Er verstummte und schaute in das rötliche Zwielicht hinaus. Erst nach einer Pause sprach er ein wenig heiser weiter. »Das ist kein Ort, an dem wir sein sollten.«
»Wir könnten wieder nach oben klettern. Mein Fuß ist ja ganz in Ord–«
Mit einen Ruck drehte Darian sich zu ihr um. »Melanie, hast du mir oder Asarié überhaupt mal zugehört? Die Nebelbrücke ist ein Weg zwischen den Welten! Nur die Taitharas können ihn ungefährdet betreten, und wir beide sind von ihm abgestürzt! Ich weiß nicht, wo wir sind, aber es kann gut sein, dass wir hier mitten in einer Welt der Dämonen sitzen!«
»Na toll!«, fauchte Melanie zurück. »Und wieso hat euer großartiges Einhorn es dann nicht verhindert, dass wir abstürzen? Warum hat er mich nicht mitkommen lassen? Toller Schutz,
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