Der Seelenfänger (German Edition)
Bürgermeister und dem Polizeipräsidenten hörte Sascha nur verlegenes Gemurmel. Allein J.P.Morgaunts Stimme drang klar und deutlich durch den ganzen Theatersaal.
»Solide wie ein Tresor«, verkündete der Börsenzauberer. »Kein Trick, kein doppelter Boden – jedenfalls soweit ich das sehen kann.«
Ein paar Herren im Parkett lachten, Houdini begnügte sich mit einem Lächeln. Dann komplimentierte er Morgaunt wieder an seinen Platz und stellte sich vor die Wasserfolterzelle, während von beiden Seiten der Bühne Feuerwehrleute in Gummimänteln schwere Schläuche herbeischafften, mit denen sie den Tank mit Wasser befüllten.
»Wie Sie sehen«, erläuterte Houdini, »habe ich auf den Seidenvorhang verzichtet, der gewöhnlich die Wasserfolterzelle während meiner Entfesselungsnummer vor den Blicken der Zuschauer verbirgt. Sobald ich ins Wasser gesenkt worden bin, kann das Publikum jede Bewegung, jeden Atemzug, den ich mache oder vielmehr nicht mache, genauestens verfolgen. Mr Edison hat auf diesem Punkt bestanden, um jeden Verdacht eines Tricks oder Schwindels auszuräumen. Im Innern der Zelle ist jede Beatmung unmöglich. Sollte etwas schiefgehen, steht mein Assistent mit einer Axt bereit, um die Glasscheibe einzuschlagen und das Wasser abfließen zu lassen. In diesem Fall«, und nun lächelte Houdini, »könnte es passieren, dass einige der Damen in der ersten Reihe vielleicht nasse Füße bekommen werden.«
Wieder war vereinzeltes Gelächter im Publikum zu hören, das aber rasch gespannter Stille Platz machte. Die Leute wollten es wissen. Sie schauten gebannt auf die Wasserfolterzelle, in deren Innerem das Wasser hinter der Glasscheibe anstieg. Von Houdinis sensationeller Nummer zu hören, sich vorzustellen, wie es ihm gelang, sich zu befreien, und Zweifel an der ganzen Geschichte zu behalten, das war das eine. Aber etwas anderes war es, zuzuschauen, wie ein Mensch sich bewusst einer Situation aussetzte, die allem Anschein nach nur einen tödlichen Ausgang nehmen konnte.
Der Dibbuk stand nun in der Mitte der Beleuchterbrücke, genau über Edisons Kopf. Sascha beobachtete entsetzt, wie sich die Gestalt an einem schweren Scheinwerfergehäuse zu schaffen machte. Das Metallgehäuse musste gut und gerne hundert Pfund wiegen. Wenn es aus dieser Höhe auf Edison fiel, würde die Wirkung so tödlich wie eine Pistolenkugel sein.
Aber worauf wartete der Dibbuk?
Dann begriff Sascha. Houdini sollte sich aus der Wasserfolterzelle befreien, damit Edison das Ergebnis des Ätherographen mitteilen konnte. Darauf wartete der Dibbuk. Morgaunt wollte, dass alle Augen auf Edison gerichtet waren, wenn der Dibbuk ihn umbrachte. Alle anderen Mordanschläge hatten nur dazu gedient, den Weg für diesen spektakulären Coup zu bereiten. Heute Abend würden die wichtigsten Bürger der Stadt und die Reporter aller New Yorker Blätter mit eigenen Augen sehen, wie Sascha Kessler, Lehrling von Inquisitor Maximilian Wolf und Spross einer Kabbalistenfamilie, Thomas Edison umbrachte.
Sascha begriff jetzt die Strategie, die J.P.Morgaunt wie ein überlegener Schachspieler Zug um Zug umsetzte. Nach Edisons Tod würde es zu einer Hexenjagd kommen, die Millionen in die Kasse der Pentacle Industries spülen würde. Und Sascha wäre zum Mörder abgestempelt. Harry Houdini anzuhängen, dass er ebenfalls in die tödliche Verschwörung gegen Edison verwickelt sei, wäre dann nur noch ein Kinderspiel. Und wenn Morgaunt es geschickt anstellte, würde sogar noch Wolf zusammen mit Sascha ins Gefängnis wandern.
Dieses teuflische Spiel würde in der nächsten Minute beginnen. Und Sascha war der Einzige, der es verhindern konnte.
Er schätzte die Entfernung zwischen sich und dem Dibbuk. Wäre er nur nicht so weit weg! Er konnte sich nicht weiter an ihn heranschleichen, der Dibbuk schien seine Nähe zu spüren. Seit dem Kampf auf Leben und Tod in der
Schul
bestand zwischen ihnen ein unsichtbares Band. Ein gefährliches Fenster hatte sich zwischen Sascha und seinem Schatten-Ich geöffnet. Wenn er jetzt noch einen weiteren Schritt tat, würde der Dibbuk gewarnt sein. Das aber würde seine Chancen, ihn zu überwältigen, verringern.
Plötzlich, wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, drehte sich der Dibbuk um und sah Sascha direkt in die Augen. Die Luft knisterte vor Magie. Das war J.P.Morgaunts Einfluss, wie Sascha sofort begriff. Der Finanzmagier versuchte aus dem Publikum heraus, den Dibbuk zu steuern. Aber Sascha wusste, dass es etwas gab, was er gegen
Weitere Kostenlose Bücher