Der Seelenfänger (German Edition)
ihr uns einen Nickel, und zwar jeder von euch. Das macht sechzig Cent.«
»Aber, du kannst doch gar nicht …«, stotterte Sascha.
»Wer sagt das?«, wollte Lily wissen.
Sascha betrachtete ihr glänzendes blondes Haar, ihre blütenweißen Strümpfe und die Spitzenbordüre des Unterrocks, der unter ihrem Kleid hervorlugte. »Weil du ein Mädchen bist!«
»Darf ich dich daran erinnern, dass Smith und Vassar College schon seit wenigstens zwanzig Jahren Baseballmannschaften beiderlei Geschlechts aufbieten?« Damit schien für sie die Sache ein für alle Mal geregelt.
»Und in welcher Profiliga spielen die Mädchen von Smith und Vassar?«, fragte Sascha sarkastisch.
Lily verdrehte die Augen. »Meine Güte, aus welcher Erdhöhle kommst du gekrochen? Hast du nie von Lizzie Arlington oder den Bloomer Girls gehört? Oder – ach, vergiss es!« Sie wendete sich voller Empörung über seine bodenlose Unkenntnis ab und marschierte über das Trümmergrundstück bis zu der umgedrehten Blechbüchse, die den Hexern als Homebase diente.
Inzwischen hatten die Hexer Lilys Wette angenommen. Sie liefen los, um ihre Spielpositionen einzunehmen – vielleicht aber auch, dachte Sascha, um ihnen alle möglichen Fluchtwege zu versperren.
Lily machte ein paar Lockerungsübungen, spuckte in die Hände und trat gegen die Dreckhaufen auf dem Gelände, als wäre sie ein tabakkauender Schläger aus dem Kader der Yankees. Sascha stöhnte innerlich bei dem Gedanken, was die Hexer wohl mit ihnen machen würden, falls Lily wirklich traf. Dann sagte er sich, dass kein Grund zur Sorge bestand – sie würde Schwung nehmen und den Ball verfehlen, ganz einfach. Und selbst wenn sie ihn doch traf, wie weit konnte ein Mädchen den Ball schon schlagen?
Ziemlich weit, wie sich herausstellte.
Auf jeden Fall so weit, dass der Ball in flachem Bogen über das Gelände sauste und eine Fensterscheibe an einem gegenüberliegenden Mietshaus einschlug.
Nach dem Klirren der Scheibe herrschte zunächst betroffenes Schweigen. Dann geschahen drei Dinge auf einmal. Eine Frau mit Papierlockenwicklern im Haar schaute aus dem Fenster und ließ eine Schimpfkanonade los, die einen Dockarbeiter zum Erröten gebracht hätte. Die Hexer schwärmten über das Gelände aus, um den Baseball wiederzufinden. Und Lily stützte den Schläger triumphierend auf ihrer Schuhspitze ab und rief: »Das macht sechzig Cent!«
Bei alledem hatte Paddy Doyle keinen Mucks getan. Aber nun lachte er und sagte zu Sascha und Lily: »An eurer Stelle würde ich mich nicht mit der Kollekte aufhalten. Ich würde abhauen, ehe die Jungs merken, dass der Ball im Fenster des Drachens in Lockenwicklern gelandet ist und sie ihn nie wieder kriegen. Kein schlechter Schlag, übrigens. Wenn du als Fänger genauso gut bist, könnte ich mich glatt in dich verlieben.«
Sascha wollte den Mund aufmachen und von Doyle eine Entschuldigung wegen Beleidigung einer jungen Dame verlangen, doch dann stellte er zu seinem Ärger fest, dass Lily überhaupt nicht beleidigt aussah. »Verschwinden wir von hier«, brummte er. »Deine sechzig Cent kriegst du sowieso nicht. Wahrscheinlich haben sie nicht mal so viel. Und wenn du drauf bestehst, verdreschen sie uns noch.«
»Willst du damit sagen, dass sie eine Wette eingegangen sind, obwohl sie sie gar nicht einlösen können?«, fragte Lily mit vor Zorn funkelnden Augen. »Das ist ja …, also das ist … einfach unsportlich!«
»Tut mir leid, Schätzchen«, sagte Paddy jetzt mit boshaftem Lächeln. »Ich muss auf meinen Ruf achten. An dem darf nicht gekratzt werden. Auch nicht wegen hübscher Mädchen, die Baseball spielen können.«
Dann war es wirklich zu spät. Die Hexer stürzten sich auf Sascha, packten ihn am Schlafittchen und zerrten ihn hinter einen kaputten Bierwagen. Sie hielten sich nicht an Boxregeln, sondern droschen auf ihn ein und traten auf ihm herum. Lily schwang den Baseballschläger und schien hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Sascha beizustehen, und der Furcht, jemanden gefährlich zu verletzen. Nach kurzem Überlegen warf sie den Schläger weg und stürzte sich, allein auf ihre Fäuste vertrauend, in das Getümmel. Doch das nützte nichts. Schließlich waren sie zu zweit gegen eine Übermacht von sieben, und so tapfer Lily auch war, sie war nicht größer als Sascha und sogar noch schmächtiger.
Umso erstaunter war Sascha, als ein Hexer, der ihm gerade einen Schlag auf die Nase versetzen wollte, von einer starken Hand fortgerissen wurde.
Sein
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