Der Seelenhändler
dass jemand auf der Suche nach dir ist, den wir nicht kennen? Und dass du in Gefahr stehst, wenn du die Mauern des Stiftes verlässt? Der Schreiber dieses Briefes“ – Katharina wedelte mit dem Pergament – „wollte dir eine Falle stellen – und du wärst beinahe, blind wie ein Maulwurf, hineingetappt.“
Bertram sah beschämt zu Boden. „Es tut mir leid“, murmelte er.
„Sag mal, Bertram – diese Nachricht“ – wieder wedelte Katharina mit dem Pergamentfetzen – „wann fandest du sie und wo?“
„Der Brief lag zusammengefaltet und versiegelt auf dem Tisch im Refektorium. Dort, wo üblicherweise mein Platz ist. Ich fand ihn heute Morgen.“
„Und du hast keine Vorstellung, wer ihn dort hingelegt haben könnte?“
„Nein. Aber es kann nur irgendeiner meiner Mitschüler gewesen sein oder einer der Bediensteten.“
Katharina nickte. Was Bertram sagte, leuchtete ein. Fremde hat-ten im Refektorium der äußeren Schule nichts zu suchen.
„Wann hast du den Klosterbereich verlassen? Und vor allem wie? Schließlich sah dich Bruder Theobald nicht die Pforte passieren.“
Erneut sah Bertram betreten zu Boden; die Frage schien ihm besonders peinlich zu sein.
„Ich … ich … bin einfach über die Mauer abgehauen. Nachdem mir Bruder Theobald den Weg erklärt hatte. Ich ging sofort nach dem Frühmahl zur Pforte hinüber, um ihn danach zu fragen“, kam es schamhaft und leise über seine Lippen
„Und gleich darauf bist du über die Mauer?“
„Ja. Ich besorgte mir ein Seil mit einem Haken daran; Bruder Isidor, der Schmied, gab es mir. Damit bin ich über die Mauer. Bei der großen Eiche, neben dem Rüsthaus.“
„Du sagtest, gleich nachdem du den Pförtner nach dem Weg gefragt hast, wärst du auf und davon. Was heißt gleich?“, vergewisserte sich Katharina.
„Gleich heißt gleich. Sofort danach“, entgegnete Bertram.
„Ohne zu zögern?“
„Ja. Ich bin erst in den Hof zurück und dann hinüber zum Rüsthaus.“
„Und das Seil? Wann hast du das besorgt?“
„Das hab ich mir geholt, noch bevor ich zum Pförtner ging.“
„Du bist mit dem Seil zu Bruder Theobald gegangen?“
„Natürlich nicht. Ich hab’s vorher hinter der Eiche versteckt.“
„Du bist also gleich nach dem Frühmahl über die Mauer verschwunden. Wir haben jetzt etwa Non. In dem Brief steht, dass dich der Halunke erst kurz nach der Komplet bei den toten Meilern erwartet, also sehr spät. Warum bist du eigentlich schon so früh abgehauen. Wo hast du dich in den vergangenen Stunden herumgetrieben? Übrigens – hast du dir nicht überlegt, dass du eine gehörige Tracht Prügel riskierst, wenn du nicht pünktlich zur Schlafenszeit im Dormitorium zurück bist, auch wenn du nicht zu den Novizen zählst? Du hättest ja erst mitten in der Nacht zurückkehren können.“
„Nun, Ihr müsst wissen, Katharina, dass Bruder Vitus heute morgen nicht erschien, um uns zum Hochamt abzuholen. Einer der anderen Brüder vertrat ihn – Bruder Engelbert. Er sagte, dass wir uns, obwohl heute Sonntag ist, nach dem Gottesdienst im Klassenzimmer aufhalten müssten, bis man uns erlauben würde, es wieder zu verlassen, und das könne dauern. Was das Ganze soll, hat er nicht gesagt. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als so schnell wie möglich zu verschwinden. Ich wollte aber auch nicht zu früh bei den Meilern sein; was sollte ich denn so lange im Wald machen? Am Ufer der Enns würde das Warten kurzweiliger sein, da kann man wenigstens baden. Also beschloss ich, mich so lange dort aufzuhalten. – Das mit den Prügeln … na ja, das hätte ich in Kauf genommen; da wär mir schon was eingefallen.“
„Hm“, meinte Katharina nur. Sie dachte nach. Ihr fiel auf, dass Bertram lediglich den Umstand erwähnt hatte, dass Bruder Vitus nicht erschienen war, um seine Schüler zum Gottesdienst abzuholen. Offenbar hatte Bertram den Aufruhr um den Tod des Schulmeisters gar nicht mitbekommen. Was jedoch nicht verwundern konnte, war dessen Leiche doch erst um Terz herum entdeckt worden. Bertram hingegen hatte sich sofort nach dem Frühmahl auf und davon gemacht.
Dennoch, Katharina wollte sichergehen. Also musste sie ihn direkt danach fragen.
„Sag, Bertram! Die Sache mit Bruder Vitus – wie berührt sie dich?“
Der Junge sah sie mit großen Augen an. „Die Sache mit Bruder Vitus? Dass er nicht zum Unterricht erschien? Was soll ich dazu sagen? Vielleicht fühlte er sich nicht wohl.“
Katharina maß ihn mit ernstem Blick. Sie beschloss,
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