Der Seelenhändler
sah er durch die dicht beieinanderstehenden Stämme hindurch die Lichtung, die sein Ziel bildete. Nur bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass es sich dabei um einen Platz handelte, auf dem ehemals eine gut gehende Köhlerei betrieben worden war. Längst schon hatte der Wald begonnen, die Schneise zurückzuerobern. Sie barg nur noch ein paar kümmerliche Reste verkohlter Hölzer, während die einst mächtigen Gruben, überwuchert von Strauchwerk und umgeben von frisch aufschießendem Gehölz, kaum mehr als solche zu erkennen waren.
Vorsichtig bewegte er sich weiter voran.
Dann erblickte er den Mann!
In sich zusammengesunken, saß er auf einem der niedrigen Felsbrocken, die im ganzen Wald vereinzelt aus dem Boden ragten. Sein Gesicht lag im Schatten einer weit nach vorne gezogenen Kapuze. Plötzlich richtete er sich auf und zog sein Messer. Offenbar hatte er erst jetzt die durch das Heranschleichen Wolfs verursachten Geräusche wahrgenommen. Aufmerksam lauschte er in die Richtung, aus der sie an sein Ohr drangen.
Wolf blieb stehen; inzwischen hatte er den Rand der Lichtung erreicht. Hinter einem dicken Stamm verborgen, beobachtete er den Fremden. Im milden Licht des frühen Abends warf seine Gestalt einen langen Schatten auf den baumfreien Platz.
Plötzlich hatte Wolf eine Idee. Er nahm einen Ast und schlug diesen mehrmals kräftig gegen den Stamm; gleichzeitig stampfte er laut vernehmlich in dem Laubhaufen, der sich zu seinen Füßen befand.
Der Mann sprang auf. „Bist du das, Bertram?“, rief er.
Schweigen antwortete ihm.
Langsam trat der Mann bis unmittelbar an den Rand der von Strauchwerk und Bäumen umsäumten Lichtung. Noch immer lag sein Gesicht im Schatten der Kapuze. Angestrengt versuchte er, in den Wald hineinzublicken und drang, als sich nichts rührte, in das Dickicht ein.
Genau das hatte Wolf beabsichtigt. Kaum dass der Mann an ihm vorbei war, schnellte er mit einem Mal hinter dem Baum hervor, sprang ihn von hinten an und schlug ihm so kräftig auf den Arm, dass er mit einem Aufschrei das Messer fallen ließ. Während Wolf den Schurken mit der Linken umfasste, legte er ihm den rechten Arm wie eine Eisenzwinge um den Hals und begann fest zuzudrücken. Der Mann, vor Überraschung völlig gelähmt, ließ ein ersticktes Röcheln hören; gleich darauf spürte Wolf, wie sein Körper erschlaffte. Er packte den Bewusstlosen unter den Achseln, schleifte ihn die wenigen Schritte bis zur Lichtung, wo er ihn bäuchlings zu Boden warf, und fesselte ihm rasch Hände und Füße. Dann drehte er ihn auf den Rücken – und erstarrte! Jetzt erst nahm er die gewaltige blutrote Narbe wahr, die das Gesicht des Mannes in zwei Hälften teilte. Sie begann auf der linken Stirnseite und erstreckte sich quer vom Haaransatz bis unter das rechte Kinn.
Mercedes, schoss es Wolf durch den Kopf.
Der Mann, der da reglos auf dem Waldboden lag, musste derjenige sein, der die Tänzerin vor fünfzehn Jahren überfallen und das Medaillon erbeutet hatte; das Medaillon, das der Säugling trug!
Da er sich noch immer nicht bewegte, beschloss Wolf nachzuhelfen. Mit einigen kräftigen Backenstreichen holte er den ohnmächtig Daliegenden in die Gegenwart der vom Abendlicht erfüllten Schneise zurück.
Der Mann stöhnte leise und öffnete blinzelnd die Augen. Als er seinen Bezwinger wahrnahm, huschte für den Bruchteil eines Augenblicks panisches Erschrecken über seine Miene.
Wolf erhob sich und sah auf ihn hernieder. „Ich sehe, du bist überrascht. Du hattest einen Knaben erwartet, nicht wahr? Was wolltest du von ihm?“, begann er ihn zu befragen.
Der Mann antwortete nichts. Stattdessen funkelte er ihn aus schmalen Augenschlitzen mit einer Mischung aus Ohnmacht und Wut an. Unwillkürlich fühlte sich Wolf an eine gefangene Raubkatze erinnert.
„Ich sehe schon, was diesen Punkt angeht, ziehst du es vor, zu schweigen. Nun, vielleicht sollte ich dich erst einmal fragen, wer du überhaupt bist. Und was du hier in der Gegend zu suchen hast. Ich habe dich noch nie zuvor gesehen.“
„Das braucht Euch nicht zu wundern“, erwiderte der Mann prompt. „Ich bin erst seit zwei Wochen hier. Ich heiße Martin Söllner und stamme aus Graz. Ich bin vor einem halben Jahr von einer schweren Krankheit genesen und habe dem Herrn versprochen, ihm ein Jahr lang in besonderer Weise zu dienen. Seit meiner Ankunft hier im Tal verrichte ich als Bruder des Gehorsams im Stift zu Admont meinen Dienst. Ihr könnt gern dort nachfragen; ich diene
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